KI-Einführung Wie Sie KI-Projekte auf ihre Machbarkeit prüfen – Teil 2

Ein Gastbeitrag von Joachim Reinhart, Christian Greiner & Oliver Mayer* Lesedauer: 6 min |

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Alle Wege führen nach Rom – aber nicht alle auch zu einem erfolgreichen KI-Projekt. Nachdem Sie erste Schritte gegangen sind, gilt es getroffene Annahmen zu prüfen, einen Lean Businessplan zu erstellen und einen abschließenden Review durchzuführen. Wie das gelingt, verrät Teil 2 unserer Serie.

Die Möglichkeiten und Grenzen scheinen fließend, aber wie findet man heraus, ob ein KI-Projekt im eigenen Unternehmen umsetzbar ist?
Die Möglichkeiten und Grenzen scheinen fließend, aber wie findet man heraus, ob ein KI-Projekt im eigenen Unternehmen umsetzbar ist?
(Bild: gemeinfrei / Unsplash)

Nachdem Sie im ersten Teil unserer Serie erfahren haben, worauf es bei der Vorbereitung eines KI-Projekts zu achten gilt, warum es wichtig ist, die Nutzerinnen und Nutzer zu verstehen, wie man Lösungswege findet und erste Prototypen aufsetzt, geht es nun unter anderem darum, aufgestellte Thesen zu prüfen.

Annahmen prüfen

Bild 5.9 Schritte zur Überprüfung der Annahmen mit Beispielen
Bild 5.9 Schritte zur Überprüfung der Annahmen mit Beispielen
(Bild: Joachim Reinhart, Christian Greiner & Oliver Mayer)

„Nutzer werden das Feature genauso lieben wie wir und bestimmt 50 € monatlich dafür bezahlen.“, „Die Technologie ist in allen wichtigen Komponenten ausgereift, wir müssen nur ins Regal greifen.“ Aussagen wie diese kennt wahrscheinlich jeder von uns. Doch halten sie einer Überprüfung stand? Schließlich können die Auswirkungen einer Fehlannahme unangenehme finanzielle Folgen haben. Schritte zur Überprüfung der identifizierten Annahmen haben wir in Bild 5.9 beschrieben.

Nach einer Auflistung der getroffenen Annahmen werden die möglichen Folgen einer Fehlannahme geschätzt und dann in einem Ranking dargestellt. Anschließend werden schlanke Experimente wie zum Beispiel A-B-Tests zur Validierung der wichtigsten Annahmen entworfen und durchgeführt. A-B-Tests sind eine Methode zur Bewertung zweier Varianten eines Systems, bei der die Originalversion gegen eine leicht veränderte Version getestet wird. Für Tests von Annahmen bezüglich der Akzeptanz von Nutzern empfehlen wir die Verwendung des weiter unten in Kap. 5.5 unseres Fachbuchs "Künstliche Intelligenz" vorgestellten Lebensraummodells. Dieser Teilschritt ist gegebenenfalls mehrfach durchzuführen bis zur Re-Test-Annahme (Wiederholungsprüfungs-Zuverlässigkeit). Durch mehrere Iterationen werden erfahrungsgemäß große Lernfortschritte erzielt. Die Ergebnisse der Tests fließen in den Businessplan ein, um das Risiko einer Fehlinvestition zu minimieren. Daraus folgt, dass

  • erstens erst dann investiert werden sollte, wenn alle offenen Fragen geklärt sind (in Abhängigkeit von der Risikobereitschaft),
  • zweitens die Kosten der Überprüfung der Annahmen in einem guten Verhältnis zu den vermiedenen Risiken stehen sollten.

Stacey-Cynefine Matrix

Ein spezielles Risiko stellt die Auswahl der Methode dar, mit der ein Use Case weiterentwickelt wird. Hier kann die Stacey-Cynefine-Matrix [86] als Entscheidungshilfe dienen, sie ist in Bild 5.10 dargestellt: Bei klaren und stabilen Anforderungen (y-Achse) und gleichzeitig klarem Lösungsweg (x-Achse) sind demnach klassische Methoden der Entwicklung sinnvoll, wie z. B. das Wasserfall- oder das V-Modell (links unten). Das Wasserfallmodell ist ein lineares Vorgehen, das Entwicklungsprozesse in aufeinanderfolgende Projektphasen unterteilt. Das V-Modell organisiert den Softwareentwicklungsprozess ähnlich dem Wasserfallmodell in Phasen, zusätzlich definiert das V-Modell das Vorgehen zur Qualitätssicherung, indem es den einzelnen Entwicklungsphasen Testphasen gegenübergestellt. Diese Gegenüberstellung wird optisch meist in V-Form dargestellt. Bei unklaren, instabilen Anforderungen und gleichzeitig unklarem Lösungsweg (rechts oben) ergibt sich ein chaotisches Bild. Die Idee sollte entweder verworfen oder wieder zurück in die Doppelschleife geschickt werden.

Bild 5.10 Die Stacey-Cynefine Matrix zur Methodenauswahl
(Bildquelle: Lane, D. und Down, M. The Art of Manageing for the Future: Leadership of Turbulence, 2010.)

Im Bereich zwischen den Extremen sollten agile Methoden der Entwicklung verwendet werden. Mit ihnen kann schnell auf Änderungen der Anforderungen reagiert, die Zeit zwischen „Konzept und Cash“ minimiert und auch die Kosten im Griff behalten werden. Die agilen Methoden Scrum und SAFe werden im nächsten Beitrag genauer beschrieben.

Lean Businessplan erstellen

Im Mittelpunkt der Doppelschleife laufen die Informationen der Teilschritte Nutzer/Kunden verstehen, Lösungswege finden, Prototyp beziehungsweise Technologie-Demonstrator bauen und Annahmen überprüfen strukturiert zusammen. Gemeinsam mit einer Finanzplanung dient der Lean Businessplan als weitgehend validierte Basis für die folgende Investitionsentscheidung, auf die wir im nächsten Kap. 5.3.7 eingehen. Folgende Inhalte sollte der Businessplan liefern:

  • Nutzer, Nutzen und Leistungen, Geschäftsmodell
  • Wettbewerber, alternative Lösungen
  • Realisierungsfahrplan
  • Annahmen und deren Validierungsstatus
  • Finanzplanung (Einnahmen, Ausgaben)

Förderprogramme

Für Forschung und Entwicklung im Bereich KI-Systeme stehen insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland zahlreiche staatliche Förderprogramme zur Verfügung.
Die Höhe der Zuschüsse beläuft sich dabei von mehreren tausend bis hin zu mehreren Millionen Euro. Beispielhaft genannt seien hier regionale Innovationsgutscheine, die steuerliche Forschungsförderung (Informationen unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Steuern/Steuerliche_Themengebiete/Forschungszulage/forschungszulage.html) sowie KI4KMU (https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-2876.html). Schon allein wegen der möglichen Höhe der Zuschüsse können sie auf die Finanzplanung erheblichen Einfluss haben. Da die Zuschüsse meist vor dem Projektstart beantragt werden müssen, ist auch ein Einfluss auf den Realisierungsfahrplan möglich.

Auch beim Businessplan sollte überlegt werden, wie das eigentliche Ziel, nämlich die Grundlage für eine Investitionsentscheidung zu liefern, möglichst schnell und kostengünstig unterstützt werden kann. Der (Lean) Businessplan sollte möglichst änderungsfreundlich sein, um mit den Lernfortschritten aus dem iterativen Vorgehen mithalten zu können. Hier ist es nicht sinnvoll, ein langes Textdokument zu erstellen, sondern stattdessen beispielsweise eine kurze „Pitch“-Präsentation (10–15 Folien). Diese kann dann je nach Bedarf durch unterstützende Materialien in verschiedenen Medienformaten ergänzt werden: beispielsweise eine Preisliste, Statements von Nutzern oder Kunden auf Video sowie ein Spreadsheet für das Finanzmodell.

Design Thinking

Bei der Durchführung der o. g. Schritte des Design-Thinking-Prozesses ergeben sich erfahrungsgemäß zahlreiche Möglichkeiten, Verbesserungsmaßnahmen im Unternehmen ad hoc zu identifizieren, die sich relativ leicht, schnell und kostengünstig umsetzen lassen. Die erfolgreiche Umsetzung von solchen Quick Wins führt neben den betriebswirtschaftlichen Effekten wie Umsatz- und Gewinnsteigerungen bei entsprechender Kommunikation auch zu einer größeren Akzeptanz für die anstehenden Veränderungsprozesse bei der Implementierung.

Review durchführen

Im Review stehen üblicherweise drei Entscheidungen an:

  • 1. Auswahl der Anwendungsfälle für Künstliche Intelligenz, die weiterverfolgt werden sollen,
  • 2. Kauf/Miete existierender KI-Plattformen (Platform as a Service, PaaS) oder Eigenentwicklung,
  • 3. Auswahl der Methode, mit der der Anwendungsfall weiterverfolgt (also skaliert) wird.

Als Entscheidungsgrundlage dienen dem Management die im vorherigen Schritt erarbeiteten und bereits erwähnten Unterlagen, insbesondere der Lean Businessplan.

Bild 5.11 Der Implementierungsaufwand nach verschiedenen Aufgaben im Überblick
Bild 5.11 Der Implementierungsaufwand nach verschiedenen Aufgaben im Überblick
(Bild: In Anlehnung an: Duranton, S. How humans and AI can work together to create better businesses. [87])

Die Entscheidung, welche Use Cases für KI-Systeme weiterverfolgt werden sollen, erfolgt üblicherweise nach unternehmensspezifischen Kriterien. Gängige Kriterien sind Chancen wie Umsatz oder Ertrag, sowie Risiken wie Aufwand oder Cost of Delay.

Es können aber auch eher indirekte Einflüsse auf finanzielle Größen eine Rolle spielen. Beispielhaft nennen wir hier den Einfluss auf Kundenzufriedenheit und Kundenbindung oder die Frage, wie gut die Anwendungsfälle zum Geschäftsmodell und zur Strategie passen. Die Kriterien können in Tabellenform mit Punkten und Gewichten bewertet werden.

Die Entscheidung zu Eigenentwicklung oder Kauf/Miete fällt in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Neben der technischen Evaluierung können vor allem Fördermöglichkeiten und eine kollektive Nutzung von KI-Systemen von Bedeutung sein. Zur Auswahl der Methode, mit der die Implementierung bei einer positiven Entscheidung des Managements weiterverfolgt wird (zum Beispiel agile Methoden), haben wir mit der Stacey-Cynefine Matrix (Bild 5.10) bereits ein Werkzeug vorgestellt.

Bei der Implementierung fallen verschiedene Aufgabenblöcke an. Dies sind üblicherweise Daten bereitstellen, Codieren (Algorithmen), Training des Systems und die Verbindung von Nutzern und KI-System zu einem funktionierenden Ganzen (Bild 5.11). Den größten Anteil am Gesamtaufwand hat dabei selten die Programmierung oder das Training des KI-Systems, sondern mit rund 70 % die Verbindung von KI-System und Menschen, um gemeinsam bessere Entscheidungen zu treffen [87].

Quellen

[86] Lane, D. und Down, M. The Art of Manageing for the Future: Leadership of Turbulence, 2010.
https://www.researchgate.net/publication/260187766_The_art_of_managing_for_the_future_Leadership_of_turbulence
abgerufen am 01.02.2022

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[87] Duranton, S. How humans and AI can work together to create better businesses. TED-talk, 2020.
https://www.ted.com/talks/sylvain_duranton_how_humans_and_ai_can_work_together_to_create_better_businesses
abgerufen am 01.02.2022

Hinweis

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Fachbuch „Künstliche Intelligenz“, das eine fundierte Einführung in die Grundlagen der Künstlichen Intelligenz und der neuronalen Netze bietet. Anhand von Beispielen aus der Unternehmenspraxis werden mögliche Einsatzgebiete aufgezeigt und Wege dargelegt, wie Unternehmen die Potenziale von Künstlicher Intelligenz erkennen und strategisch umsetzen können.

Mehr Infos

* Christian Greiner studierte und promovierte in Mathematik an der Universität Ulm mit Schwerpunkt auf Entscheidungsprozessen. Seit 2003 ist er Professor und Prodekan für Wirtschaftsinformatik und Management an der Hochschule München. Sein Forschungsinteresse gilt der erweiterten Intelligenz, intelligenten Informationssystemen und der Entrepreneurship-Ausbildung.

* Oliver Mayer studierte an der Technischen Universität München und promovierte an der Universität der Bundeswehr. 2004 wechselte er zur GE-Forschungseinrichtung in München, derzeit ist er Leiter des Spezialisierungsfelds Energie bei der Bayern Innovativ GmbH. Er beschäftigt sich intensiv mit Möglichkeiten der KI im Bereich der Energietechnik.

* Joachim Reinhart studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Augsburg. Er leitet den Bereich KI und Innovation der arborsys GmbH und unterstützt in dieser Funktion Unternehmen bei der digitalen Transformation. Mit KI beschäftigt er sich seit Anfang der 90er Jahre, u.a. bei der Deutschen Telekom AG sowie als Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens.

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