Game-Changer Plattformökonomie Wie Ökosysteme zu exponentiellem Wachstum führen

Autor / Redakteur: Johanna von Geyr, ISG / Heidi Schuster

Plattform-Ökosysteme sind nichts Geringeres als die Wertgrundlage für die Marktführer der Gegenwart. Sie bieten einen völlig neuen Ansatz, wie Unternehmen auf ihren Märkten agieren und ihre Kunden erreichen. Damit leiten Plattformen den größten makroökonomischen Wandel seit der industriellen Revolution ein.

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Die Schaffung eines eigenen digitalen Ecosystems kann Unternehmen völlig neue Perspektiven bringen.
Die Schaffung eines eigenen digitalen Ecosystems kann Unternehmen völlig neue Perspektiven bringen.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay )

Längst geht es nicht mehr nur um den reinen Verkauf von Produkten. Stattdessen stehen die Themen Wertschöpfung und Kundenbindung oben auf der Agenda. Die hierzu erforderliche Flexibilität bieten Plattformen, die Entwicklern den Raum und die Werkzeuge bieten, um neue Anwendungen, Produkte und Dienstleistungen in kürzestmöglicher Zeit bereitzustellen. Indem das Ökosystem der Technologie- und Servicepartner direkten Zugriff auf die Plattform bekommt, führt das daraus resultierende Spektrum an Interaktionen zu einem völlig neuartigen, kundenzentrierten Business-Ansatz.

Gleichzeitig öffnet sich ihnen ein Weg, sich von der Last des Infrastrukturbetriebs und anderer IT-Aufgaben zu befreien. Digitalunternehmen wie Alibaba, Amazon, Google und Airbnb profitieren davon seit ihrer Gründung. Diese extrem wachstumsstarken Unternehmen basieren vollständig auf den von ihnen entwickelten Technologieplattformen und den damit einhergehenden Geschäftsmodellen. Die oftmals bahnbrechenden Produkte und Dienstleistungen dieser Player sind ebenfalls unmittelbares Resultat dieser Plattformen. Und dass ein solcher Entwicklungspfad dann keineswegs nur das Privileg der Digitalwirtschaft ist, zeigt etwa das Beispiel General Motors. Mit seinem 500-Millionen-Dollar-Investment in die Mitfahrplattform Lyft hat der traditionsreiche Autobauer aus Detroit ein neues digitales Ökosystem für den Verkehr geschaffen, das beiden Unternehmen, General Motors und Lyft, sofortigen Nutzen bringt.

Plattformen können alte Branchen erneuern

Der chinesische Versicherungskonzern Ping An ist eine weitere Inspirationsquelle dafür, wie lukrativ es selbst für etablierte Branchenführer sein kann, ihre Marktaktivitäten auf eine geeignete Plattform auszudehnen. Seit drei Jahrzehnten am Markt hat Ping An nun in wenigen Jahren sein gesamtes Geschäftsmodell zu einem plattformgebundenen Ökosystem weiterentwickelt. Heute ist Ping An nicht nur Chinas größter Versicherer, sondern auch zu einer der führenden Anbieter von mobilen Anwendungen und Basistechnologien für die Plattformwirtschaft. Zu diesem Zweck hat Ping An zehn Start-ups gegründet, die zum einen das Versicherungs-, Bank- und Vermögensverwaltungsgeschäft miteinander verzahnen und zum anderen Plattformen für nichtfinanzielle Dienstleistungen bauen, auf denen sich die Beziehungen zu Kunden und Partnern zusätzlich zum Kerngeschäft in der Assekuranz weiter vertiefen lassen.

Plattformbasierte Modelle erfordern jedoch einen grundlegenden Wandel im operativen Selbstverständnis der Unternehmen. Früher waren BMW und Daimler reine Wettbewerber; heute sind sie sowohl Wettbewerber als auch Partner in einem Joint Venture. Dank dieses Paradigmenwechsels haben diese und viele andere Unternehmen die Wirksamkeit von Plattformmodellen unter Beweis gestellt. Paradebeispiel ist der Tech-Konzern Apple, der Wettbewerber wie Blackberry marginalisiert hat, indem er ein plattformbasiertes Ökosystem geschaffen hat, das kontinuierliches Wachstum ermöglicht.

Wie man werthaltige Ökosysteme schafft

Im Gegensatz zu Unternehmen, die sich in erster Linie auf den Verkauf konzentrieren und ihren Markterfolg auf der Ebene von Waren und Dienstleistungen sowie Umsatz und Gewinn messen, stellen Plattformen die Förderung von Interaktionen ins Zentrum des Interesses. Im Kern geht es damit nicht mehr um den Verkauf von Gütern, sondern um den Austausch von Mehrwerten zwischen Produzenten und Konsumenten. Hierbei bilden die Zahl der Interaktionen und die daraus resultierenden Netzwerkeffekte die entscheidende Quelle für das Erzielen von Wettbewerbsvorteilen. Im Fall von Uber bewerten Passagiere und Mitfahrer ihre Erfahrungen miteinander. In den vergangenen Jahren hat diese direkte Interaktion mit den Kunden und die Fähigkeit des Unternehmens, in kürzester Zeit neue Produkte auf den Markt zu bringen, zu Wachstum auf völlig neuen Gebieten geführt, wie beispielsweise bei der Entwicklung von Uber Eats.

Der erste Schritt bei der Einführung einer plattformbasierten Strategie besteht somit darin, bestehende Märkte und die ihnen innewohnenden Möglichkeiten aus dem Blickwinkel des Ökosystems zu analysieren. Unternehmen müssen dabei mit weitaus mehr Partnern interagieren als bisher. Das zu berücksichtigende Funktionsspektrum reicht von der Kundengewinnung über Social Advertising bis zu den Zahlungslösungen.

Um Partner, Technologien und Anwendungen bedarfsgerecht einzubinden, sollte die IT dem Vorbild Amazons folgen und die erforderlichen Systemkomponenten „As-a-Service“ bereitstellen. Woraus die Notwendigkeit erwächst, eine schlanke Technologiearchitektur zu entwerfen, die vorzugsweise auf Micro-Services und Application Programming Interfaces (APIs) aufsetzt. Damit die Ökosystem-Plattform flexibel skalieren und neue Angebote in kürzester Zeit abbilden kann, sollten CIOs und CTOs ihr Denken vor allem auf die Offenheit ihrer Architektur ausrichten. Je nach Zielsetzung empfiehlt sich dann unter Umständen auch der Bau eines App-Stores, aus dem die Nutzer die jeweils gewünschten Fähigkeiten eigenständig auswählen können. Doch wie auch immer die Infrastruktur im Einzelnen ausgestaltet sein mag, in jedem Fall gilt es sie so robust und sicher zu machen, wie es der jüngste Stand der IT-Sicherheitstechnik erlaubt.

Johanna von Geyr, Partner und EMEA Lead Insurance bei ISG
Johanna von Geyr, Partner und EMEA Lead Insurance bei ISG
(Bild: ISG)

Da sich Unternehmen zunehmend mit externen Ökosystem-Technologien befassen werden, steigt der Bedarf an Full-Stack-Architekten und Infrastruktur-Ingenieuren, die über eine ausreichende Konvergenz-Expertise verfügen. Zudem gilt es Fachwissen im Umgang mit Softwarepaketen von Drittanbietern und Best-of-Breed-Technologien vorzuhalten. Ebenso gefragt sind Kenntnisse zur Integration von multiplen Technologielösungen. Darüber hinaus brauchen die Unternehmen Mitarbeiter, die in der Lage sind, die Interessen des Business und die Anforderungen der IT in Einklang zu bringen. Nur dann entsteht ein übergreifendes Verständnis dafür, wie externe Services mit den bereits vorhandenen Produkten und der sie unterstützenden Systeme integriert werden können, ohne die Eckpfeiler der bestehenden IT-Architektur immer wieder neu ausrichten zu müssen.

Wer eine Plattform nutzen will, braucht daher zuallererst Klarheit darüber, inwiefern die IT seines Unternehmens für den Wandel bereit ist. Zudem gilt es, die ökonomischen Implikationen herauszuarbeiten. Keineswegs zu vernachlässigen ist dabei die Frage, ob das traditionelle Geschäft oder auch nur Teile des Stammgeschäfts über das Plattform-Ökosystem in Gefahr geraten. Gleichzeitig müssen Unternehmen ein präzises Verständnis dafür entwickeln, auf welche Weise Plattformaktivitäten den profitabelsten Teil ihres Geschäftsmodells unterstützen können. Mit diesem Wissen lässt sich ein neuer Wachstumsansatz entwickeln, der sich das Denken in Plattformen und Ökosystemen erfolgreich zunutze macht. Die daraus resultierende Strategie sollte diese Punkte berücksichtigen:

  • 1) Partnermanagement: Welche Branchenvertreter sowie Ökosystem-Teilnehmer außerhalb der Branche können zum Ausbau der Plattform beitragen?
  • 2) Verkauf: Welche Plattformen bieten sich an, um die Reichweite des Vertriebs zu erhöhen
  • 3) Ausbau und Optimierung des bestehenden Geschäfts: Wie wird der neue Ökosystem- und Plattformansatz das aktuelle Geschäft fördern?
  • 4) Gründung einer eigenständigen Geschäftseinheit: Ist der Aufbau einer neuen Business Unit erforderlich, um das Ökosystem verwalten und optimieren zu können?
  • 5) Joint Ventures: Sind gemeinsame Unternehmungen mit Dritten der effizienteste Weg, um ein Ökosystem zu erweitern?
  • 6) Finanzierung: Wie hoch ist der Investitionsbedarf?
  • 7) IT-Unterstützung: Ist die bestehende Unternehmens-IT bereit für eine Plattformstrategie?
  • 8) Analysefähigkeit: Gibt es eine Big Data-Strategie, um den geschäftlichen Nutzen der Plattformdaten zu maximieren?

Um diese Ideen auch für Führungskräfte, Vorstände und Aktionäre nach-vollziehbar zu machen, ist es wichtig, den Plattformansatz in seinen Auswirkungen auf zentrale Unternehmenskennzahlen zu kommunizieren. Hierzu zählen zum Beispiel Wachstumsraten, Indizes für die Kundenzufriedenheit, Gewinnspannen oder die Gesamtkapitalrentabilität.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf unserem Partnerportal IT-Business erschienen.

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