Interview „Wer zukunftsfähig sein möchte, muss die Zukunft auch gestalten“
Das mittelständische Familienunternehmen Lauda denkt das Thema Digitalisierung ganzheitlich und setzt es auch so um – und das seit vielen Jahren. Ein Gespräch über unterschätzte Digitalisierungsfortschritte, wertvolle Erkenntnisse und Mut.
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Laut einer letztjährigen Veröffentlichung von Roland Berger sind 40 Prozent aller Industrie 4.0-Projekte im Mittelstand bislang nur Ideen, 25 Prozent in der Planung. Man könnte also vermuten, dass die Digitalisierung im Mittelstand noch immer eher träge vorankommt. Dieser Aussage stellt sich Enrico Bossart, Leiter Produktmanagement bei Lauda, entgegen. Im Interview spricht er über Laudas Weg der Digitalisierung, was er heute anders machen würde und mehr.
Herr Bossart, in ihrem Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung einige Weichen in Richtung schnellerer Digitalisierung gestellt. Doch gegenwärtig scheint es vor allem im Mittelstand auf diesem Gebiet noch immer eher schleppend voranzugehen. Können Sie sich erklären, warum das so ist?
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Der Mittelstand ist in puncto Digitalisierung sehr aktiv. Vor allem interne und administrative Prozesse werden digitalisiert, aber auch die Elektronik und Intelligenz der eigenen Produkte wird zunehmend leistungsfähiger und kontinuierlich ausgebaut. Die Sichtbarkeit von mittelständischen Unternehmen ist allerdings geringer verglichen mit den großen Digitalkonzernen. Auch der Umsatz wird immer noch nahezu ausschließlich durch physische Produkte beziehungsweise Maschinen realisiert. Doch sind die Maschinen viel intelligenter geworden, können sich oft selbst überwachen und aus der Ferne parametriert und gesteuert werden.
Nahezu jeder größere Mittelständler hat heute bereits eigene digitale Produkte, Plattformen oder Cloud-Lösungen realisiert. Die Unternehmen schlafen nicht, dennoch sind dadurch ganz neue Fachgebiete erschlossen worden, in denen der Mittelstand keine jahrzehntelange Erfahrung vorweisen kann. Auch der Personal- und Bewerbermangel von qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der IT sowie der intensive Wettbewerb um die besten Talente stellen eine Herausforderung dar. Jeder Maschinenbauer sucht mittlerweile Programmierer, nicht mehr nur die IT-Unternehmen.
Lauda ist jedenfalls ein anschauliches Beispiel für einen Mittelständler, der den digitalen Wandel proaktiv angegangen ist. Was war die Zielsetzung hinter diesen Bemühungen?
Wer zukunftsfähig sein möchte, muss die Zukunft auch gestalten. Statt nur auf den Wettbewerb zu reagieren und bereits etablierten Lösungen bei Kunden hinterherzurennen, haben wir auf die proaktive Analyse von Kundenbedürfnissen gesetzt, sowie auf die Entwicklung neuer Lösungen mit Mehrwert.
Unsere Zielsetzung ist es, Technologieführer und Antreiber in der Temperiertechnik zu sein. Wir wollen Kunden außergewöhnliche Lösungen und neue Produkte bieten, die die Effizienz, Qualität und Leistung maximieren. Zudem wollen wir neue Geschäftsmodelle entwickeln und ein zukunftsfähiges, wachstumsstarkes Produktportfolio digitaler Produkte gestalten. Aber auch die Schaffung interner Effizienz, schlankerer und schnellerer Prozesse und die Minimierung manuellen Aufwands zur Kostenreduktion und dem Schaffen von Wettbewerbsvorteilen gehören zu den Zielen des digitalen Wandels im Unternehmen.
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Studie
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Das klingt, als ging es Ihnen primär nicht nur um die Digitalisierung Ihrer Produkte, sondern auch der Produktion, richtig?
Das stimmt. Allerdings mit dem klaren Fokus, einen Kundennutzen durch digitale Produkte zu schaffen. Vor allem wollen wir unsere Produkte digital anreichern, einen Mehrwert durch bessere Konnektivität, Datenaufbereitung und Prozessoptimierung schaffen.
Die interne Digitalisierung dient besonders der effizienteren Kundenkommunikation und den verbesserten Unternehmensprozessen. Digitalisierung ist ein ganzheitliches Thema, das vom Vertrieb bis hin zum Mechaniker jeden im Unternehmen gleichermaßen betrifft.
Wie sind Sie dabei vorgegangen? Auf welche Technologie setzen Sie konkret?
Zuerst haben wir die Kundenbedürfnisse analysiert, neue Ideen und Lösungsmöglichkeiten entwickelt. Hierfür haben wir Ansätze wie Design Thinking eingesetzt, Customer Journeys analysiert, Customer Personas definiert, Kundenanwendungen und deren Anforderungen evaluiert. Ebenso haben wir eine agile Projektstruktur aufgesetzt, um sich diesen neuartigen IIoT-Technologien iterativ zu widmen. Die Grundlage für digitale Produkte wie Konnektivität und standardisierte Schnittstellen wurde in jeder klassischen Entwicklung sichergestellt und die Cloud-Lösung Lauda.Live entwickelt. Bis die Lösung marktreif war, wurden die Prototypen zuvor ausgewählten Kunden präsentiert und kontinuierlich iteriert.
Wir setzen insbesondere auf die eben erwähnte Cloud-Lösung, nutzbar für jedes Lauda-Gerät, mit vielfältigen Funktionen und Services. Produkte mit Konnektivität können via Ethernet oder 4G Mobilfunk optional auf zusätzliche Angebote zurückgreifen, wie zum Beispiel Fernwartung- und Steuerung, oder auch Analysetools. Durch die Cloud ist die Verwaltung der genutzten Geräte und Interaktion mit uns so komfortabel und effizient wie nie. Durch die Überwachung und Analyse der Geräte durch die Cloud werden darüber hinaus Zuverlässigkeit und Performance optimiert. Ein weiterer Vorteil ist die Maximierung der Ausfallsicherheit der Geräte durch die Erarbeitung von KI-Lösungen wie Predictive Maintenance.
Chancen, die sich durch die Cloud für unser Unternehmen ergeben, sind eine höhere Kundenzufriedenheit und -bindung, Kostenreduktionen für Kunden und Lauda gleichermaßen. Das gilt vor allem im After Sales, sowie für neue Geschäftsmodelle und Wachstumspotenziale.
Was würden Sie rückblickend anders machen?
Rückblickend hätten die Punkte Schnelligkeit und Fokus eine noch höhere Priorität bekommen. Konkret heißt das, dass eine geringere Anzahl an Geräten in den Fokus genommen und allgemein schneller agiert wird – zum Beispiel in puncto Markteintritt und Einholen von Kundenfeedback. Zudem war unser kleines Team und der Verzicht auf klassische Entwicklungsprozesse sehr vorteilhaft, doch würde ich rückblickend den Fokus noch mehr auf ausreichend eigene Programmierkapazitäten legen.
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Kann ein solcher Transformationsprozess überhaupt jemals als abgeschlossen gelten? Wenn ja, würden Sie dieses Prädikat für Ihre Digitalisierungsbemühungen in Anspruch nehmen?
Das Thema Digitalisierung ist für uns nicht neu und beschäftigt uns schon seit Jahrzehnten. Die Transformation ist also fortwährend und begleitet uns stetig. Früher hatten unsere Geräte lediglich Knöpfe und analoge Anzeigen für den manuellen Betrieb, dann verfügten diese schon bald über Mikroprozessoren, ein HMI und digitale Schnittstellen beziehungsweise Protokolle zur Integration in Leitsysteme.
Heute fordert uns vor allem IIoT und KI heraus. Doch wir wissen bereits, dass Sprachsteuerung und AR/VR aus der Konsumentenwelt auch in die Industrie wandern und uns ebenso vor große und neue Herausforderungen stellen werden. Wir nehmen diese Herausforderungen an und wollen Vorreiter in unserem Markt, sowie kompetenter Partner unserer Kunden sein. Uns war es wichtig, Strukturen zu schaffen, die digitale Entwicklungen und Innovationen aktiv vorantreiben, eine Digital Unit oder ein Innovationslabor, wie es bei uns die New Degree GmbH ist.
Was können Sie anderen KMU raten, die sich gerne auf die Reise der digitalen Transformation begeben würden, denen aber die Karte – von einem Navi ganz zu schweigen – dazu fehlt?
Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Der Markt entwickelt sich rasant. Der Aufbau des eigenen Personals mit entsprechendem Know-how sowie ständige Lernschleifen und kontinuierliche Kundeniterationen sind eine notwendige Investition in zukünftiges Geschäftspotenzial. Umso später ein Unternehmen startet, desto größer ist der Rückstand, wenn sich Kundenbedarf und auch der Wettbewerb weiterentwickelt haben.
Zudem sollte visionär gedacht werden. Hierzu gehört zum Beispiel, Produkte bereits heute mit mehr Rechenleistung und Schnittstellen für zukünftige Anforderungen zu entwickeln, proaktiv IT-affines Personal zu qualifizieren und zu rekrutieren sowie Kooperationen und gemeinsame Entwicklungen mit Kunden als Starthilfe zu identifizieren.
Weiterhin würde ich, um eine digitale Transformation zu erleichtern, ausgewählten Mitarbeitern Freiräume schaffen und diese in einem interdisziplinären Team frei neue digitalen Lösungen gestalten zu lassen. Nur der Mutige wird am Ende der Innovator im Wettbewerb sein.
Danke für diese Einblicke, Herr Bossart.
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