Digitalisierung Was tun, wenn das ERP-System schlappmacht?
Erst lassen sich neue Prozesse nicht mehr abbilden, dann stoßen IoT- oder KI-Projekte auf immer größere Hürden. Ältere ERP-Systeme bremsen so den digitalen Fortschritt aus. Woran Unternehmen erkennen, dass es Zeit für einen Wechsel ist und was es dann zu tun gilt.
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Die Chancen der Digitalisierung sind riesig, entsprechend motiviert sind viele Unternehmen bei der Implementierung der neuen Technologien. Dabei wird leicht übersehen: Die generierten Daten müssen in Geschäftsprozesse integriert und in greifbaren Mehrwert überführt werden. Die Frage, ob das vorhandene ERP-System damit noch klarkommt, wird vielfach verdrängt. Das ERP-System gestaltet sich so immer mehr zum Hemmschuh.
Alarmzeichen, die jeder ernst nehmen sollte
Allerdings gibt es glasklare Indikatoren dafür, dass die vorhandene Software das Fortkommen eines Unternehmens bremst: Etwa, wenn es an den Integrationen hakt, Daten ausgedruckt und in einem anderen System eingetippt werden müssen – oder noch schlimmer, wenn Laufzettel durchs Unternehmen wandern. Falls die Kommunikation mit Kunden und Lieferanten primär noch per Brief, E-Mail oder Telefon läuft, sind Prozesse ebenfalls nicht mehr auf der Höhe der Zeit, vom guten alten Fax ganz zu schweigen.
Sämtliche Alarmglocken sollten schrillen, wenn Berichte, die das Management für Entscheidungen benötigt, Tage bis Wochen brauchen. Ein weiterer Hinweis, dass ein ERP-Update fällig ist: häufige Beschwerden von Mitarbeitenden, dass sie vor lauter Rückfragen von Kollegen, Lieferanten oder Kunden nicht mehr zu ihrer eigentlichen Arbeit kommen. Und auch wenn alle paar Monate die Lagerbestände nicht stimmen und daher eine Inventur gemacht werden muss, ist das kein gutes Zeichen.
Der Wahrheit ins Auge blicken
Zeigen sich diese und ähnliche Symptome, wird es höchste Zeit, das ERP-System auf den Prüfstand zu stellen. Gründe, warum so viele vor diesem Schritt zurückschrecken und ihn – oft gegen besseres Wissen – auf die lange Bank schieben, gibt es viele. Einer davon: Früher haben ERP-Projekte Jahre gedauert, mit ungewissem Ausgang und großen Risiken. Diese sind dank agiler Methoden heute deutlich kleiner geworden. Dennoch hat ein Systemwechsel weitreichende Auswirkungen auf eine Organisation, da er so gut wie alle Geschäftsprozesse im Unternehmen berührt. Hinzu kommt bei IT-Verantwortlichen und Geschäftsleitung oft ein Gefühl großer Unsicherheit, weil nur die wenigsten von ihnen schon einmal ein solch großes Projekt geleitet haben. Schließlich werden ERP-Systeme nicht am laufenden Band, sondern eher nur alle zehn bis 20 Jahre ausgetauscht.
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Doch ein Unternehmen, das einen fälligen Wechsel vor sich herschiebt, beschneidet nicht nur seine eigene Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Es trägt seine Schwächen durch viel unnötige Mehrarbeit auch auf dem Rücken der Mitarbeitenden aus. In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels und steigender Wechselbereitschaft ist das keine zukunftsträchtige Strategie.
Mit dem richtigen Ziel auf dem rechten Weg
Ist die Entscheidung einmal gefällt, stellt sich die Frage, wo und wie anzupacken ist. Experten wie der langjährige ERP-Berater Tobias Hertfelder mahnen, von Anfang an klare Ziele festzulegen: Viele könnten die Frage „Wofür tue ich das alles eigentlich?“ nicht beantworten, so Hertfelder in einem Podcast-Interview. Er rät Unternehmen, sich zwei zentrale Fragen zu stellen:
- Wie wollen wir in den kommenden Jahren arbeiten?
- Wo sehen wir Chancen für tragfähige Geschäftsmodelle?
Dieses Vorgehen hilft dabei, nicht im Klein-Klein der aktuell drückenden Schmerzpunkte stecken zu bleiben. Stattdessen weiten sie den Blick und helfen herauszufinden, wie das eigene Business in Zukunft aussehen wird – und damit, was das ERP-System leisten muss.
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Toolauswahl? Kann warten!
Als nächster Schritt steht eine Bestandsaufnahme der Prozesslandschaft an. Hierbei sollten nicht nur die Ist-Abläufe genau festgehalten werden. Es gilt auch zu überlegen, was daran verbesserungswürdig ist und wie man zukünftig arbeiten will. Dabei hilft es von Anfang an klar zu machen: Anpassungen sind möglich, dürfen aber nicht zulasten einer späteren Upgrade-Fähigkeit der Software ausufern. Die Frage nach dem konkreten System spielt bis hierher keine Rolle.
Auch die Projektorganisation gilt es vorab zu klären. Vor einer zu starren und vor allem IT-zentrischen Organisationsstruktur warnt indessen Axel Winkelmann. Der Professor an der Universität Würzburg weiß, wie wichtig es ist, das Management an Bord zu holen: Es bräuchte „immer die Weitsicht von jemandem, der die Übersicht über das ganze Unternehmen hat“. Die IT-Abteilung habe hier oft nicht den vollen Überblick und auch nicht die Durchsetzungskraft, wenn ein Projekt mal ins Stocken geraten sollte, so Winkelmann.
Ressourcen klären, klar kommunizieren
Weitere Punkte, die ganz am Anfang zu klären sind, betreffen Budget, Ressourcen und das Timing. Betriebe mit einem stark saisonalen Geschäft sollten dies unbedingt in ihrer Projektplanung berücksichtigen. Zusätzlich zum Budget müssen auch die nötigen internen Personalkapazitäten freigeschaufelt werden – denn ein ERP-Projekt erledigt sich nicht mal so nebenbei. Zur Abschätzung des eigenen Aufwands hat Winkelmann eine Faustformel parat: „Wenn ein ERP-Berater für einen Manntag zu Ihnen kommt, können Sie noch einmal zweieinhalb bis drei Manntage eigene Arbeit dazurechnen.“
Weil ein so großes Projekt auch Ängste in der Belegschaft schürt, ist es wichtig, Change-Prozesse vorzubereiten und aktiv über das Projekt zu informieren. Die Kommunikation soll dabei nicht nur kommenden Änderungen umfassen, sondern auch klar herausstellen, was sich nicht ändern wird. Denn gerade in bewegten Zeiten schafft Klarheit viel Stabilität in der Belegschaft. Und in Zeiten des Fachkräftemangels ist jeder Mitarbeiter, der bleibt, wertvoll.
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Die richtige Software finden
Erst wenn alle Rahmenfaktoren geklärt sind, geht es an die System-Auswahl. Früher füllten Pflichtenhefte zu Funktionalitäten ganze Ordner. Heute führt das immer seltener zum Ziel. Der Grund: Die meisten ERP-Systeme sind sich im Funktionsumfang inzwischen sehr ähnlich. Entscheidender sind da schon die Unterschiede bei den Integrationsmöglichkeiten und der Automatisierung. Denn wem es gelingt, Prozesse End-to-End abzubilden, der sorgt für maximale Produktivität. Außerdem können Unternehmen nur so von Effizenzverstärkern wie dem Process Mining profitieren.
Aber Achtung: Nicht alles, was möglich ist, geht auch einfach. Automatisierungsfunktionen müssen leicht zu bedienen sein, sonst werden sie nicht genutzt. Insgesamt lohnt es sich, sehr viel Gewicht auf die die Usability legen. Nur so finden sich neue Arbeitskräfte schnell zurecht und werden rasch produktiv, ohne mehrtägige Schulung zu benötigen. Zusätzlich unterstützen können hierbei Angebote für die Hilfe zur Selbsthilfe, wie über eine Anwender-Community, deren Mitglieder sich gegenseitig Rat und Tipps geben.
Last but not least darf im Auswahlprozess ein Blick auf die Roadmap der Hersteller nicht fehlen. Denn auch wenn die Software für den aktuellen Anforderungsstand alles zu tun scheint, was sie soll: Aus der Roadmap lässt sich die Zukunftsfähigkeit eines ERP-Systems meist recht gut ablesen.
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Kostentreiber in die Schranken weisen
Ein ERP-Wechsel ist ein komplexes Projekt und unterliegt damit entsprechenden Risiken. Aufgrund der Bedeutung des ERP-Systems als Prozess-Rückgrat des Unternehmens können diese wesentlich zu Buche schlagen. Mit fünf Maßnahmen lassen sich jedoch typische Kostentreiber einfangen:
- Mit Unklarheiten rechnen: Auch wenn man noch so genau plant, kommt es einfach vor, dass Mitarbeitende am Ende feststellen, sie haben sich eine Funktion anders vorgestellt oder es wurde eine wesentliche Anforderung übersehen. Wird agil und mit Prototypen gearbeitet, sehen die Anwender viel schneller ihr neues Arbeitsumfeld und Änderungswünsche lassen sich schneller berücksichtigen.
- Auf unternehmensspezifische Prozesse fokussieren: Projektteams sollten keine Zeit mit der Definition von Standardprozessen vergeuden. Berater müssen daher mit branchenspezifischen Templates aufwarten können, um nicht bei Adam und Eva anzufangen.
- Einfache Anpassungsfähigkeit einfordern: Customizing kostet – nicht nur aktuell, sondern auch bei jedem weiteren Update. Früher gab es dazu keine Alternative, heute bieten viele Systeme neben branchenspezifische Funktionalität auch umfassende Konfigurationsmöglichkeiten. Das macht Sonderprogrammierungen so gut wie überflüssig.
- Schnittstellen-Wirrwarr vermeiden: Eine einzelne Schnittstelle zu warten ist überschaubar. Kommen aber mehr und mehr dazu, wird es unübersichtlich und in der Wartung teuer. Deshalb ist es so wichtig, die Ziele und damit die künftige IT-Architektur festzulegen.
- Beratertage minimieren: Erfahrene Consultants sind rar, die Tagessätze hoch. Umso günstiger ist es, wenn ERP-Berater auch von remote helfen und stundenweise Hand anlegen können. So lässt sich mehr sparen als nur die Anfahrtskosten.
Ob die ERP-Einführung als Erfolg gewertet wird, hängt nie allein an der Technik. Ganz wesentlich sind auch Prozess- und Organisationsthemen – und vor allem das Erwartungsmanagement. Denn nicht für alle ändert sich mit einem neuen System alles auf einen Schlag zum Besseren. Wer den Anwendern das Blaue vom Himmel verspricht, darf sich nicht wundern, wenn es hinterher im Projekt hakt. Projektverantwortliche, die dies beherzigen und ihr Projekt solide aufstellen, erfüllen alle Voraussetzungen dafür, mit ihrer neuen Software in die digitale Zukunft durchzustarten.
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