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KI wandert von der Cloud in den Sensor
Bislang werden Künstliche Intelligenz und neuronale Netze vor allem für Bildverarbeitung und Spracherkennung eingesetzt. Bei einigen Systemen verlassen die Daten die lokalen Systeme. In der Cloud, also auf externen Servern, werden dann z.B. Stimmprofile verarbeitet, da die Rechenleistung der lokalen Systeme nicht immer ausreicht. Dabei werden Unmengen an Daten übertragen, darunter oft auch sensible Daten, die eigentlich besser "on premise" verarbeitet werden sollten.
Deshalb hat man beim Fraunhofer IMS über Alternativen nachgedacht und bringt nun maschinelle Lernverfahren - salopp gesagt - direkt auf den Chip (embedded System). Mit „Artificial Intelligence for Embedded Systems“ (Aifes) haben Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS eine Künstliche Intelligenz für Mikrocontroller und Sensoren entwickelt, die ein voll konfigurierbares künstliches neuronales Netz umfasst.
Es handelt sich dabei um eine plattformunabhängige Machine-Learning-Bibliothek, mit der sich selbstlernende Kleinstelektroniken realisieren lassen, die keine Anbindung an eine Cloud oder leistungsfähige Computer erfordern. Konkret unterstützt die sensornahe KI die Handschriften- und Gestenerkennung. Läuft die Bibliothek etwa auf einem Wearable, so lässt sich die Eingabe sogar per Geste steuern.
"So kann der Datenschutz garantiert werden und auch die zu übertragene Datenmenge wird deutlich reduziert“, erläutert Burkhard Heidemann, Gruppenleiter Embedded Systems am Fraunhofer IMS. „Natürlich können keine riesigen Deep Learning Modelle auf einem eingebetteten System realisiert werden, somit beschäftigen wir uns verstärkt mit der geschickten Merkmalsextraktion zur Reduktion der Eingangssignale.“ Indem die Forscherinnen und Forscher die KI direkt auf den Mikrocontroller bringen, lässt sich ein Gerät mit zusätzlichen Funktionen ausstatten, ohne dass teure Hardwareänderungen nötig sind, so die Forscher.
Das neuronale Netz direkt auf dem Mikrocontroller trainieren
Bei „Artificial Intelligence for Embedded Systems“ handelt es und eine Machine-Learning-Bibliothek in der Programmiersprache C, die auf Mikrocontrollern lauffähig ist, darüber hinaus aber auch andere Plattformen wie PC, Raspberry PI oder Android unterstützt. Die Bibliothek umfasst aktuell ein voll konfigurierbares künstliches neuronales Netz (KNN), das bei Bedarf auch tiefe Netze für das Deep Learning erzeugen kann.
Ein KNN ist der Versuch, das menschliche Gehirn mit Algorithmen mathematisch nachzubilden, um funktionale Zusammenhänge für Algorithmen erlernbar zu machen. Aifes wurde speziell für eingebettete Systeme optimiert. „Wir haben den Quellcode auf ein Minimum reduziert, dadurch lässt sich das KNN direkt auf dem Mikrocontroller oder auf dem Sensor, also dem eingebetteten System, trainieren. Außerdem ist der Quellcode universal gültig, er lässt sich für nahezu jede Plattform kompilieren. Da immer die gleichen Algorithmen genutzt werden, ist ein KNN, das z. B. auf dem PC erstellt wurde, einfach auf einen Mikrocontroller portierbar. Dies ist bislang mit kommerziell erhältlichen Softwarelösungen so noch nicht möglich“, sagt Dr. Pierre Gembaczka, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IMS.
Aifes fokussiert sich nicht auf die Verarbeitung großer Datenmengen, vielmehr werden nur die erforderlichen Daten übertragen, um sehr kleine neuronale Netze aufzubauen. „Wir folgen nicht dem Trend, der hin zur Verarbeitung von Big Data geht, sondern wir beschränken uns auf die absolut nötigen Daten und etablieren quasi eine Mikrointelligenz auf dem eingebetteten System, die die jeweiligen Aufgaben lösen kann. Wir entwickeln für jedes Problem neue Datenvorverarbeitungsstrategien und Merkmalsextraktionen, um möglichst kleine KNN realisieren zu können. Dies gewährleistest dann auch ein nachträgliches Lernen auf dem Controller selbst“, erläutert Gembaczka.
Ist Deutschland bei KI "abgehängt"?
Verblüffende Möglichkeiten. Doch wo „steht“ man hierzulande in Sachen Künstliche Intelligenz tatsächlich? Die Beratungsfirma BearingPoint hat sich dieses Themas angenommen und im Rahmen einer Umfrage (Digitalisierungsmonitor 2020) nach Antworten gesucht. Die Ergebnisse könnte man mit der Floskel „teils teils“ umschreiben. Teils sind sie ermutigend, teils sorgen sie für einiges Stirnrunzeln. Immerhin: Das passende „Mindset“ ist in vielen Unternehmen offenbar vorhanden – zumindest in der Theorie. KI werde die Welt verändern, so die Auffassung der meisten von BearingPoint Befragten. 88 Prozent glauben, dass KI ihre Branche beeinflussen wird. Elf Prozent sprechen gar von einer Revolution
Warum ein Unternehmen KI in der Praxis nutzen sollte, findet Antwort in der Frage nach den Haupttreibern für den Einsatz dieser Technologie. In erster Linie sehen die Befragten diese in Effizienzsteigerungen (65 Prozent) und Prozessverbesserungen (60 Prozent). Unabhängig von der Unternehmensgröße oder ob bereits KI-Initiativen im Unternehmen vorhanden sind oder nicht sind die Werte sind stets in etwa gleich hoch.
Bedingt wird dies nach Einschätzung der Studienautoren möglicherweise dadurch, dass sich Unternehmen derzeit generell auf Effizienzsteigerungen fokussieren und die Unterstützung von KI dabei natürlich willkommen ist. Für eher kreative Tätigkeiten versprechen sich die Befragten von KI weniger Impulse, und zwar , unabhängig von der Branche.
Als Treiber für neue Produkte und Services wird der Künstlichen Intelligenz schon deutlich geringere Bedeutung beigemessen (37 Prozent). Geht es um KI-basierte betriebliche Entscheidungen, so versprechen sich nur noch 22 Prozent der Befragten einen Benefit. Gefragt nach ganz konkreten Geschäftsprozessen, für die sich KI eigne, nennen die Unternehmen auf den ersten drei Plätzen Unterstützung bei logistischen Prozessen (30 Prozent), in der Produktion (26 Prozent) und bei Sicherheit und Überwachung (25 Prozent).
Viele Unternehmen haben (noch) keine KI-Strategie
Soviel zur Theorie. Aber wie sieht es bei der praktischen Umsetzung aus? Nach der BearingPoint-Studie nicht ganz so rosig. Doch ist die Lage auch nicht hoffnungslos.
Mehr als jeder vierte Befragte berichtet von ersten Erfahrungen mit KI im Unternehmen, 27 Prozent nutzen sie bereits oder arbeiten mit bzw. an einem KI-Pilotprojekt, 19 Prozent haben zumindest Ideen, was man damit machen könnte, oder befinden sich in einer Experimentier- und Diskussionsphase. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass über die Hälfte der Befragten erklärten, dass es ihres Wissens keine Initiativen im Unternehmen dazu gebe (54 Prozent).
Woran liegt es, dass fast drei Viertel aller Befragten noch gar nicht mit KI oder mit einem ernstzunehmenden Piloten beschäftigt sind? Ist generell nicht klar, wie man mit KI loslegt oder wird fachliche Unterstützung dabei benötigt? Fakt ist: Oftmals gibt es im Unternehmen keine eigene, klare Strategie und die Herangehensweise scheint momentan noch unklar. Immerhin nehmen 25 Prozent der Befragten externe Beratung in Anspruch, um in Sachen KI in die Schuhe zu kommen. Auch von Messebesuchen verspricht man Input für KI-Projekte. Doch so richtig „Hippes“ wie Acceleratoren, Labs oder Hubs leisten sich aber nur elf Prozent der befragten Unternehmen.
Bei Data Science – denn ohne Daten geht ja nichts in Sachen KI – sprechen 65 Prozent von einer mittleren bis starken Ausprägung in ihrem Unternehmen. Sind bereits KI-Initiativen vorhanden, liegt diese Quote bei 83 Prozent, bei denen ohne KI-Initiativen bei 50 Prozent.
Die grundlegenden Hausaufgaben – das fange an beim Know-how zu KI allgemein, über Prozessmanagement und Datenmanagement bis hin zur Identifikation von Use Cases und der Zusammenarbeit mit Partnern oder Start-ups – seien (noch) nicht gemacht, resümiert die BearingPoint-Studie und liefert damit eine einigermaßen plausible Erklärung für die Startschwierigkeiten mancher Unternehmen.
Bei KI-Einsatz im B2C-Bereich liegen die USA und China vorn
Ist Deutschland in Sachen KI also wirklich abgehängt? Betrachtet man die KI-Forschungsaktivitäten und nutzt man als Indikator die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema, so weisen die USA und China die höchsten Publikationszahlen auf. Allerdings hat sich die chinesische Forschung gerade in den letzten Jahren vornehmlich auf den Bereich der neuronalen KI konzentriert. Unter den europäischen Ländern führen Großbritannien, Deutschland und Frankreich hinsichtlich der Zahl der Publikationen.
Zusammengenommen verfügen die Länder der EU in der KI-Forschung über eine gute Ausgangsposition, sodas Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2019 der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Allerdings geben die Verfasser des Gutachtens zu bedenken, dass diese „Aggregation“ inhaltlich aber nur dann berechtigt wäre, wenn es im europäischen Forschungsraum und im Binnenmarkt keine Friktionen gäbe.
Bei Produkten mit KI, die vom Verbraucher nutzbar sind, haben die USA und namentlich amerikanische Tech-Firmen wie Amazon, Google, Apple, Microsoft und IBM die Nase vorne. Ähnliches Gilt für China, wo große Plattformbetreiber und Tech-Konzerrne wie Alibaba, Tencent, Baidu und Huawei, aber auch zahlreiche Startups das Thema KI vorantreiben. Die Startups befassen sich schwerpunktmäßig mit Gesichts-, Bewegungs- und Verhaltenserkennung, Voice Recognition und Computer Vision. Zu den bekannteren Firmen in diesem Segment gehören Megvii Technology ((Face++), SensTime und Mobvoi.
Der Vorsprung, den amerikanische und chinesische Tech-Konzerne im Bereich der KI-basierten Verbraucherlösungen haben, ist nach Einschätzung von Prof. Dr. Wolfgang Wahlster nicht mehr aufzuholen. In einem Gespräch mit der „Berliner Morgenpost“ zeigte sich der Informatiker, der von 1997 bis 2019 das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) leitete, davon überzeugt, dass es „im Bereich der Geschäftsbeziehungen mit Privatpersonen es für Deutschland nicht mehr möglich sein wird, noch aufzuholen. Hier sind die USA und China weit voraus.“ Doch abgehängt sei Deutschland keineswegs. Im Gegenteil: „Wir haben den größten Datenschatz an Maschinendaten“, so der Informatikprofessor.
Und diesen Datenschatz, der sekündlich wächst, gilt es zu heben und zu gewinnbringend nutzen. Schließlich KI wird von vielen Ökonomen als Technologie betrachtet, die in fast allen Sektoren einsetzbar ist und erhebliche produktivitätssteigernde Effekte entfalten kann. Verlässliche wissenschaftliche Studien zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von KI liegen derzeit noch nicht vor. Jedoch haben verschiedene Beratungsunternehmen Effekte in erheblicher Größenordnung beschrieben.
So könnte das deutsche BIP im Jahr 2030 aufgrund des Einsatzes von KI bis zu 11,3 Prozent höher ausfallen, was einem Plus von 430 Milliarden Euro entspricht. Das prognostiziert die Beratungsfirma pwc in ihrer Studie "Auswirkungen der Nutzung von künstlicher Intelligenz in Deutschland" vom Juni 2018. Das potenzielle BIP-Wachstum im Zusammenhang mit der Ersetzung und „Erweiterung“ der Arbeitskräfte und die daraus resultierenden Produktivitätssteigerungen könnten sich in Deutschland auf 4,6 Prozent belaufen. Die kapitalintensiven Branchen, die im Vergleich zu vielen anderen Volkswirtschaften Europas einen größeren Teil der deutschen Volkswirtschaft ausmachen, werden nach Einschätzung von pwc voraussichtlich die größten Produktivitätssteigerungen erzielen.
Bund gibt Geld für die Entwicklung von KI-Technologien
Folglich könne es sich Deutschland als Innovationsstandort nicht leisten, die Wertschöpfungspotenziale durch KI zu vernachlässigen, resümieren die Verfasser des oben erwähnten Jahresgutachtens zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2019. Das hat mittlerweile auch die Politik erkannt. So wurde das Thema im Anfang 2018 geschlossenen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD aufgegriffen. Dieser hebt die Bedeutung von KI als Schlüsseltechnologie hervor und setzt als Ziel, „Deutschland zu einem weltweit führenden Standort bei der Erforschung von künstlicher Intelligenz“ zu machen".
Mit dem KI-Gipfel im April 2018 dokumentierte die Bundesregierung nochmals die Relevanz des Themas. In ihrem Strategiepapier formuliert sie drei übergreifende Ziele. So soll Deutschland zu einem führenden Standort für die Entwicklung von KI-Technologien gemacht und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gesichert werden. Ferner soll eine verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Entwicklung und Nutzung von KI sichergestellt werden. Letztlich gehe es darum, KI durch einen breiten gesellschaftlichen Dialog und aktive politische Gestaltung in die Gesellschaft einzubetten.
Mit dem Haushalt 2019 stellte der Bund in einem ersten Schritt insgesamt 500 Millionen Euro für das Jahr 2019 und die Folgejahre zur Verfügung. Bis einschließlich 2025 will der Bund insgesamt etwa drei Milliarden Euro für die Umsetzung der KI-Strategie ins Schaufenster legen. Die Bundesregierung erwartet, dass Wirtschaft, Wissenschaft und Bundesländer mindestens in gleicher Höhe Mittel bereitstellen.
Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Forschung und Wirtschaft sowie des Gemeinwohls wird in der KI-Strategie eine Reihe KI-spezifischer Maßnahmen angekündigt. So sollen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der Forschung und der Lehre im Bereich KI mindestens 100 neue Professuren für eine breite Verankerung des Themas an Hochschulen sorgen. Weiterhin sollen die bestehen-den Kompetenzzentren für KI-Forschung überregional weiterentwickelt werden, sodass ein nationales Netzwerk von mindestens zwölf Zentren und Anwendungs-Hubs entsteht.
Geplant ist ferner der Aufbau eines virtuellen deutsch-französisches Forschungs- und Innovationsnetzwerks. Und schließlich ist die verstärkte Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen im Bereich der KI über die Kompetenzzentren Mittelstand 4.0 geplant.
Bitkom: Wir müssen das Tempo massiv erhöhen
Was jedoch die faktische Umsetzung der im November 2018 verabschiedeten KI-Strategie der Bundesregierung anbelangt, so zog der Digitalverband Bitkom ein Jahr später eine eher "verhaltene" Zwischenbilanz. „Die bescheidenen Mittel von 500 Millionen Euro pro Jahr haben bislang noch so gut wie keine Wirkung erzielt“, kritisierte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. In den USA hingegen werde gerade über ein 100-Milliarden-Dollar-Programm zur KI-Förderung diskutiert, weshalb die Bundesregierung überprüfen solle, ob die deutsche KI-Strategie überhaupt richtig dimensioniert sei. „Wir müssen das Tempo massiv erhöhen“, fordert der Vertreter der deutschen ITK-Industrie.
Nicht minder wichtig sei es, dass man in Deutschland Künstliche Intelligenz und Datenpolitik zusammen denke. Für den Bitkom-Geschäftsführer macht keinen Sinn, viel Geld in die KI-Förderung zu pumpen und ihr gleichzeitig ihre wichtigste Ressource zu entziehen, die Daten. „Hier brauchen wir mehr Konsistenz in den politischen Maßnahmen. Schon bald wird es in der IT kaum noch Anwendungen geben, die sich nicht der KI zuordnen lassen.“
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