Interview Bart van der Schueren, Materialise „Unser Ziel ist eine KI-gestützte Wissensplattform, die ständig dazulernt“
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Materialises Softwareplattform will Unternehmen unter anderem bei der Einführung und Optimierung der AM-Serienproduktion unterstützen. In unserem Interview erklärt CTO Bart van der Schueren auch, warum der 3D-Druck-Spezialist auf eine offene Software-Architektur setzt.

Im Frühjahr kündigte Materialise an, eine offene Softwareplattform zur effizienteren Verwaltung von Prozessen in der additiven Fertigung einführen zu wollen. Das CO-AM genannte Produkt will Herstellern einen cloudbasierten Zugang zu verschiedenen Softwaretools bieten. Mit diesen Werkzeugen sollen Unternehmen jede Phase ihres AM-Betriebs planen, steuern und optimieren können. Wir hatten Gelegenheit, mit Bart van der Schueren über gegenwärtige Herausforderungen in der AM-Wertschöpfungskette, das Versionsupdate von Materialises Software zur Daten- und Bauvorbereitung und natürlich die neue Plattform zu sprechen.
Herr van der Schueren, AM wird zunehmend für Endbauteile, Kleinserien und auch größere Serien eingesetzt. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sich AM in diesen Bereichen etablieren kann?
Bart van der Schueren: Mit dem 3D-Druck lassen sich heute hunderte und sogar tausende gleicher Teile produzieren. Bisher nutzen die meisten Unternehmen die additive Fertigung jedoch nur zur Prototypenerstellung. Damit sich AM abseits davon durchsetzen kann, ist es nötig, vollständig rationalisierte und skalierbare Arbeitsabläufe schaffen zu können. Ebenso müssen sich die Teile wiederholbar, zuverlässig und effizient in der geforderten Qualität produzieren lassen. Neben leistungsfähigen Maschinen ist leistungsfähige Software und ein dezentraler Zugang dazu hier der entscheidende Faktor. Erforderlich sind zudem Fach- und Führungskräfte, die bereit sind, sich ernsthaft mit allen inzwischen vorhandenen Möglichkeiten des 3D-Drucks auseinanderzusetzen.
Und die überzeugt nicht zuletzt auch die Produktivität einer Technologie. Wie kann man besagte Produktivität im 3D-Druck erhöhen, ohne dabei die Qualität zu gefährden?
Um beide Ziele zu erreichen, helfen vor allem verschiedene Software-Tools. Unter anderem gibt es Lösungen, die dafür sorgen, dass der Bauraum einer Maschine unter Einhaltung der vorgegebenen Qualitätskriterien optimal ausgenutzt wird und pro Baujob mehr Teile gefertigt werden können. Andere Software-Funktionen ermitteln, welche Stützstrukturen wo platziert werden sollten, um Nacharbeiten zu minimieren und ein verzugsfreies Abkühlen sicherzustellen. Auch eine integrierte Qualitätskontrolle, die fehlerhafte Teile noch während des Fertigungsprozesses zuverlässig identifiziert, ist bereits mit AM nutzbar. Weitere Funktionen ermöglichen es, die auf einer Maschine einmal optimierten Prozesse auf andere Maschinen zu skalieren.
Das klingt alles sehr gut. Aber wo sehen Sie aktuell die größte Herausforderung der additiven Wertschöpfungskette?
Angesichts der Unsicherheiten und wiederkehrenden Lieferprobleme der letzten Jahre und Monate gibt es im Augenblick eine starke Entwicklung hin zu einer dezentralen Produktion. Dabei stehen Unternehmen im Wesentlichen vor zwei Herausforderungen: Zum einen müssen sie ihre additiven Prozesse effizient skalieren können, sodass gleiche Bauteile ohne große Vorlaufzeiten an verschiedenen Standorten in gleicher Qualität produziert werden können. Zum anderen muss die Sicherheit und Integrität ihrer Design- und Produktionsdaten jederzeit gewährleistet sein. Es gilt, nicht nur Fälschungen Dritter zu verhindern, sondern auch, dass arglistig oder unbeabsichtigt modifizierte beziehungsweise minderwertige oder nicht-zertifizierte Bauteile in die Lieferkette gelangen.
Sie haben die Rolle von Software schon angesprochen. Ihre neue Plattform CO-AM soll ein „bisher weitgehend ungenutztes Potenzial der additiven Fertigung stärker ausschöpfen“. Ein ambitioniertes Ziel. Wie können Unternehmen das mit der Plattform erreichen, was verbirgt sich dahinter?
Das bisher weitgehend ungenutzte Potenzial des 3D-Drucks liegt in der Serienfertigung, und CO-AM hilft Unternehmen bei der Einführung und Optimierung dieser Fertigungsform. Zwar lassen sich mit den Software-Tools unserer Materialise Magics 3D Print Suite bereits heute alle wichtigen AM-Arbeitsschritte optimieren. Das funktioniert unabhängig von den eingesetzten 3D-Druck-Technologien und Maschinen.
Doch mit CO-AM machen wir nun unsere gesamte Software-Suite über die Cloud zugängig und erleichtern Anwendern so den Zugriff – gerade auch dezentral. Dank der offenen Architektur können Unternehmen zudem Software-Tools anderer Anbieter einbinden und nutzen. Weiterhin können Anwender mittels der neuen Lösung effizient operativ skalieren sowie nahtlos auf alle Produktionsdaten zugreifen. Letzteres hilft ihnen, ihre AM-Workflows kontinuierlich zu überwachen und zu verbessern.
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Apropos offene Architektur: Anwender sollen so also ihre bevorzugten Tools integrieren können. Welche Vorteile erhoffen Sie sich dadurch?
Das hat vor allem zwei Gründe. Der erste ist, dass wir damit unser Produkt attraktiver machen. Denn indem Anwender ihre jeweils bevorzugten Tools auch anderer Anbieter integrieren können, haben sie jederzeit Zugang zu den neuesten Software-Innovationen und zu zusätzlichen Speziallösungen. Gleichzeitig lässt sich unser Produkt, da es mit einer Vielzahl von Soft- und Hardware-Technologien verbunden werden kann, leichter in bestehende Produktionsinfrastrukturen integrieren, was bei der Skalierung der AM-Aktivitäten hilft.
Der zweite Grund ist, dass wir mit der offenen Gestaltung die AM-Gemeinschaft stärken. Sie kann so leichter gemeinsam neue Lösungen entwickeln und bestehende verbessern und dadurch entscheidende Mehrwerte für einzelne Unternehmen oder auch ganze Anwendergruppen schaffen. Ebenso erschließt dieses Geschäftsmodell neue Einnahmequellen für Hardware- und Software-Partner.
Perspektivisch soll CO-AM zu einer KI-gestützten Wissensplattform werden. Welche technischen Grundlagen braucht es dafür und was müssen die Anwender dazu beitragen?
Tatsächlich ist unser Ziel eine KI-gestützte Wissensplattform, die ständig dazulernt, damit jeder Baujob etwas besser wird als der Vorherige. Um das zu erreichen, können Bediener ihre eigenen individuellen Arbeitsabläufe in einer Wissensdatenbank definieren und speichern und so den Produktionsprozess kontinuierlich verbessern. Eine Rolle spielt hier außerdem der so genannte Data-Lake, das Herzstück von CO-AM. Dieser "Datensee" ist mit allen Produktionswerkzeugen verbunden und überwacht und analysiert die Produktionsvorgänge sowie die zugehörigen Daten.
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Und welche konkreten Vorteile ergeben sich aus der Kombination von CAD- und Netz-basierten Workflows, die in Magics 26, der neuen Version Ihrer Software zur Daten- und Bauvorbereitung, integriert ist?
Der neue CAD- und netzbasierte Workflow unterstützt Anwender bei Projekten, die eine enge Abstimmung oder einen häufigen Austausch zwischen Konstruktion und Datenvorbereitung erfordern. Im Kern bedeutet die Kombination, dass sich CAD-Datenformate innerhalb unserer Software schnell und fehlerfrei in netzbasierte Dateiformate und zurück umwandeln lassen. Dadurch können Anwender die Vorteile CAD-nativer Formate bei der Anpassung von Bauteilen effizient nutzen, bis diese für den 3D-Druck optimiert sind. Erst dann wechselt man in die eigentliche Bauvorbereitung, in der dann das netzbasierte Dateiformat seine Vorteile ausspeilt – etwa die Möglichkeit, zu definieren, welche Bereiche eines 3D-Modells innen und welche außen liegen.
Magics 26 wirbt auch damit, die Supporterzeugung und das automatische Schachteln verbessert zu haben. Wie funktioniert das in der Praxis?
Mit der verbesserten Supporterzeugung sowie den erweiterten Funktionen für das automatische Schachteln lässt sich einerseits die Ausschussrate senken und andererseits die Produktivität steigern. Flexible Kegel- und Baumstützen können jetzt mit Streben versehen werden, um die Stabilität beim Druck zu verbessern. Das erweiterte automatische Schachteln ermöglicht eine höhere Packdichte und bietet die Möglichkeit, Bauteil-zu-Bauteil-Supports für die Produktion mittels Elektronenstrahlschmelzen und Binder-Jetting zu erstellen. Diese Stützstrukturen verbessern die Wärmeableitung und verringern den Verzug. Ebenso verhindern sie, dass Bauteile während des Druckvorgangs miteinander verschmelzen.
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