Kommentar Und täglich grüßt das Murmeltier: Die neue Maxime heißt Verwalten statt Gestalten
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Wie Bill Murray in der US-Filmkomödie 'Und täglich grüßt das Murmeltier' sitzen wir mittlerweile in einer Zeitschleife fest: Entscheidungsbefugte entscheiden nicht mehr. Das kostet die Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit und uns alle am Ende unseren Wohlstand.

Ich war wieder mal auf einer Messe, denn ich tauche gern ein in diese rege Geschäftigkeit. Das Schöne an jeder Messe ist, hier kann ich mein berufliches Netzwerk erweitern und Dinge besprechen, die man in formellen Treffen nie diskutieren würde. Ich habe mir ein Bild über die wirtschaftliche Lage (und Aussichten) verschiedener Unternehmen beziehungsweise der ganzen Branche machen können. Doch ich habe auch wieder erlebt: Hier, auf den Handelsplätzen der Welt, werden kaum noch Entscheidungen oder zumindest keine grundsätzlichen Entscheidungen getroffen. Und auch vor oder nach der Messe, wird abgewimmelt, was das Zeug hält.
Abwimmeln wird zum Massenphänomen
Vor der Messe gilt nämlich Business as usual. Das heißt, es geht vor allem um die Verwaltung des Status-Quo, getreu dem Motto „weiter so“ oder „never change a running system“. Wer, wie ich, dann Lösungen vorstellt, die zwar den gesamten Fertigungsprozess optimieren können, aber nicht zwingend notwendig für die Herstellung des jeweiligen Produkts sind, trifft zu diesen normalen Geschäftszeiten immer seltener auf ein offenes Ohr. Und wenn eine Messe kurz bevorsteht und alles auf Hochtouren läuft, geht das Abwimmeln weiter.
Zwar wachen Unternehmen dann aus ihrem Dornröschenschlaf auf und bekommen einen ganz neuen Drive. Dieses Hochgefühl lässt sich aber auch nicht nutzen. Denn dann stecken alle tief in der Messevorbereitung und die Entscheiderinnen und Entscheider sind noch weniger offen für Neues. Dann endlich − die Messe findet statt. Alle sind „on fire − everything is possible“. Wir versprechen uns Partnerschaften, enge Kooperationen, erste gemeinsame Projekte, bekunden großes Interesse, sprechen von Wort halten und Zuverlässigkeit. Aber so schnell die Worte gesagt oder ein Handschlag gegeben wurden, so schnell sind sie auch wieder vergessen. Denn nach der Messe kommt ja die Nachbereitung, das heißt, Leads sichten, qualifizieren und verteilen. Dann geht wirklich nichts mehr. Es gilt die Devise: Keine neuen Themen mehr. Und irgendwann ist dann wieder das normale Tagesgeschäft da. Was da geht oder nicht geht, habe ich ja schon gesagt.
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Schwindende Risikobereitschaft kostet den Erfolg
Was ich hier für die Messen mal nachgezeichnet habe, gilt übrigens auch für Weihnachten, Ostern, Pfingsten oder die Sommerzeit – da läuft aufgrund von Urlaubszeiten oder Feiern auch kaum noch was. Oder anders gesagt, die Bereitschaft, Neues auszuprobieren, was zu tun, was noch nicht jeder macht, die Risikobereitschaft und die Entscheidungsfreude gehen in Deutschland immer weiter zurück. Bevor jetzt der Einwand kommt, ich wäre vielleicht kein geschickter Verkäufer oder unsere Lösungen sind nicht so vielversprechend, wie ich vielleicht denke – mein persönlicher Eindruck geht nicht an der Wirklichkeit vorbei. Dafür gibt es mittlerweile zu viele Studien, die belegen, dass Deutschland an Boden verliert.
Wer das nicht glaubt, sollte mal kurz online recherchieren. Erschreckend finde ich beispielsweise die Ergebnisse der Studie Business Destination Germany 2022. Laut dieser alle zwei Jahre von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG AG durchgeführten Studie, verliert Deutschland nämlich rasant an Wettbewerbsfähigkeit. Verschlechtert hat sich – und das bestätigt meinen Eindruck – auch der Punkt ‚Innovationsförderndes Umfeld‘. Hier sind wir 2021 im Vergleich zu 2019 von 48 Prozent auf 36 Prozent gefallen. Und was die Anzahl der Patentanmeldungen betrifft: Auch hier geht es bergab. Besonders dramatisch: Das Europäische Patentamt veröffentlichte 2020 eine Studie, nach der Deutschland im internationalen Vergleich bei Patentanmeldungen im Umfeld der vierten industriellen Revolution, weniger gut abschnitt.
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EaaS-Studie 2022
Equipment-as-a-Service – Angebot und Nachfrage ungleich verteilt
Unverzichtbar: Lust auf Veränderung
Professor Markus Thomzik vom Institut für angewandte Innovationsforschung der Ruhruni Bochum bringt das Problem in einem Interview auf den Punkt: In weiten Teilen der Wirtschaft dürfen in den nächsten drei Jahren mehr Veränderungen anstehen als in den letzten 30 Jahren zusammen. Künstliche Intelligenz, Blockchain, Robotik – es gibt Zweifel, ob wir hier in Entwicklung und Anwendung, abgesehen von Nischen, wirklich international werden Schritt halten können. Eine Einstellung, die ich absolut teile. Wenn nicht bald ein Ruck durch die Führungsetagen geht, werden wir – anders als in der Komödie mit Bill Murray − bald nichts mehr zu lachen haben.
* Holger Langhans ist CEO bei der Comara GmbH.
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