Expertenbeitrag

Dr. Christoph Schlünken

Dr. Christoph Schlünken

Mitglied des Vorstands ALTANA AG, ALTANA AG

Kommentar Start Up, Old Economy!

Autor / Redakteur: Dr. Christoph Schlünken / Sebastian Human

Die sogenannte Old und New Economy müssen nicht zwangsläufig Gegenspieler sein. Wie die deutsche Industrie gemeinsam mit jungen Unternehmen und neuen Ideen Deutschland zum High-Tech Inkubator entwickeln kann.

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Partnerschaften zwischen Old und New Economy können beiden Parteien nutzen – indem man von den Stärken des anderen profitiert.
Partnerschaften zwischen Old und New Economy können beiden Parteien nutzen – indem man von den Stärken des anderen profitiert.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay )

In Deutschland verliert das Engagement der Old Economy - also der traditionellen Schlüsselindustrien wie Automobil, Chemie, Maschinenbau, in der New Economy der Start-ups leider an Bedeutung. Zwar erreichten die Investitionen in junge Unternehmen hierzulande 2018 ein neues Rekordhoch, doch einen Mangel gibt es trotzdem. So fehlen bei den Investments einerseits kleinere bis mittelgroße Summen in der entscheidenden Wachstumsphase und Summen über 100 Millionen Euro bei großen Ideen, andererseits vermisst man bei der Förderung neuer Technologien die genannten Schlüsselbranchen.

Deutschland investiert zu wenig in die Ideen von morgen

Aber sind wir nicht gerade zum „Innovationsweltmeister“ gekürt worden – und laut Bloomberg das innovationsstärkste Land der Welt 2020?

Nun, diese und andere Indizes analysieren nur die Zahl der Patentanmeldungen oder F&E-Ausgaben. Die entscheidende Frage beantworten sie nicht – ob und wie erfolgreich eine Marktneuheit umgesetzt wird. Das aber ist wesentlich für die Zukunftsfähigkeit und Wirtschaftskraft eines Landes.

Den wirklichen Ist-Zustand verrät die hiesige Investitionsbereitschaft für Hightech: Fast jedes vierte deutsche Start-up erwägt laut des Branchenverbands Bitkom, ins Ausland zu gehen.

Auch in der Chemiebranche spielen Start-ups als Innovationsmotor eine wichtige Rolle – gleichwohl sind hier in Deutschland die Venture-Capital-Investitionen rückläufig, im europäischen Vergleich liegt die Branche hier nur noch auf Platz 7. Die Folge: Die Zahl der Gründungen – und damit auch die Innovationskraft – lässt nach. Dieser Trend, das zeigt ein anderes Beispiel, schlägt sich negativ auf die Nutzung neuer Technologien nieder: Bislang waren deutsche Unternehmen etwa beim Einsatz von 3D-Druck Weltspitze. Laut einer Umfrage von Ernst & Young büßt Deutschland derzeit den so mühsam erreichten Vorsprung aber wieder ein.

Dies sind nur zwei Symptome aus unterschiedlichen Industrien, aber für ein- und dieselbe Entwicklung, die in einen Teufelskreis münden könnte: Weniger Investments bedeuten weniger Innovationen, was wiederum zu sinkender Anwendung der wenigen verbliebenen Innovationen führt.

Die Lösung für Konzerne: Start up, Old Economy!

Es mutet fast wie Ironie an, dass ausgerechnet die jungen Autoren von Slush, der wichtigsten Digitalkonferenz Europas, kürzlich an die „alten“ Stärken Europas erinnerten, das heißt unsere klassischen Industrien und das damit verbundene, enorme Wissen sowie F&E-Potenzial. Und es mag jüngst eine (angenehme) Überraschung gewesen sein, als Elon Musk bei seiner Entscheidung zum Bau der Tesla Gigafactory am Standort Deutschland auf das Wissen deutscher Ingenieure der Automobilbranche verwies.

Slush und Tesla haben Recht: Den Aufstieg als Wirtschaftsnation verdankt Deutschland den traditionell starken Industriezweigen Automobil, Maschinenbau und Chemie – besinnen wir uns doch einmal auf alte Stärken, ohne uns darauf auszuruhen. Wir müssen unsere hochspezialisierte Technik- und Forschungskompetenz viel entschiedener mit Start-up-Ideen verknüpfen.

Wer allerdings glaubt, sich Innovationskultur oder Mut zum Wandel extern einkaufen zu können, hat zu kurz gedacht. Beides muss aus dem Unternehmen selbst kommen, Innovationskultur will gelebt werden. Schließlich geht es auch im Konzern darum, sich immer wieder neu zu erfinden, um innovativ zu bleiben.

Alte Erfahrung und neues Know-how: Echte Kooperation macht sich bezahlt

Ein gutes Beispiel ist der High-Tech Gründerfonds (HTGF). Mit einem Volumen von insgesamt 895,5 Millionen Euro verteilt auf drei Fonds sowie einem internationalen Partner-Netzwerk haben die hier engagierten Konzerne seit 2005 bereits mehr als 560 Start-ups begleitet.

Entscheidend an diesem Modell ist jedoch der innovative Ansatz: Es geht nicht einfach um Risikokapital, das investiert werden will, sondern um Beratung und Wissenstransfer. Denn Teams aus erfahrenen Investment-Managern und Start-up-Experten begleiten die High-Tech Gründer.

Ein zweiter, überzeugender Trend: Statt auf eine bequeme Finanzspritze zu warten, entwickeln erfahrene Konzerne und junge Unternehmen gemeinsam ein Produkt oder gestalten ihre Partnerschaft produkt- und nicht rein renditefokussiert. Damit haben auch wir gute Erfahrungen mit unserem Partner dp polar gemacht. Dessen neues 3D-Drucksystem feierte im November 2019 auf der Industriemesse für additive Fertigung Formnext Premiere. Bei diesem Verfahren bewegt sich nicht der Druckkopf, sondern die Fläche, auf der gedruckt wird. Damit entstehen hoch präzise Bauteile bis zu 20-mal schneller in größerer Anzahl und mit einem Bauvolumen von ca. 700 Litern im Multi Material Jetting Verfahren – und genau dafür entwickeln und liefern wir die passenden Druckmaterialien.

Das sind nur wenige Beispiele für eine Strategie, um Deutschland zum Hightech-Inkubator zu entwickeln. Offenbar wird das Potenzial viel engerer, nicht ausschließlich renditefixierter Partnerschaften zwischen „Old“ und „New“ zunehmend erkannt. Dabei könnte der zehn Milliarden Euro schwere Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien, den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier angekündigt hat, vielleicht helfen. Allerdings nur dann, wenn das Programm auch die Zusammenarbeit bei Strategie, Produkten und Technologien erleichtert, die Bildungs- und Wissenschaftsszene einbindet und beim Abbau bürokratischer Hürden zu unterstützen vermag.

Wer aber in ein Start-up investiert, muss mit dem Risiko leben, dass nicht immer alles gradlinig nach Plan verläuft. Vielmehr sind kalkulierte Risiken Bestandteil vieler Innovationsprozesse – wobei die Zusammenarbeit mit Start-ups, so meine bisherige Erfahrung, auch auf einer anderen Ebene beflügelt: Unkonventionelles Denken und Handeln ist bei ihnen nicht selten an der Tagesordnung, während es Querdenker im Konzern oftmals schwer haben. Denken wir also ein wenig mehr quer – aber gemeinsam.

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