Expertenbeitrag

 Bernd Jost

Bernd Jost

Geschäftsführer, DiIT GmbH

Digital Twin Rückverfolgbarkeit wird für Bordnetzhersteller zur Pflicht

Autor / Redakteur: Bernd Jost / Sebastian Human

Die Elektrifizierung der Autos und das autonome Fahren bringen für Bordnetzhersteller neue Qualitätsanforderungen. Digitale Zwillinge können eine vertikale und horizontale Rückverfolgbarkeit der Produkte gewährleisten – und damit Fehler schneller beheben oder gleich ganz vermeiden.

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Gerade auch mit Hinblick auf das autonome Fahren wird das Thema Rückverfolgbarkeit für Hersteller von Bordnetzen immer wichtiger.
Gerade auch mit Hinblick auf das autonome Fahren wird das Thema Rückverfolgbarkeit für Hersteller von Bordnetzen immer wichtiger.
(Bild: gemeinfrei / Unsplash)

Für die Bordnetzhersteller bedeutet das elektrifizierte und autonom fahrende Auto einen Paradigmenwechsel. Waren Bordnetze bislang reine Commodity-Produkte, werden sie nun zunehmend zu sicherheitskritischen Komponenten. Über sie laufen immer mehr Energie-, Signal- und Kommunikationsflüsse, die sicherheitskritische Funktionen wie Steuerung, Spurwechsel oder Bremsen unterstützen. Probleme mit den elektrischen Systemen können zu schwerwiegenden Ausfällen führen, die möglicherweise nicht nur erhebliche materielle Schäden verursachen, sondern Leib und Leben von Personen bedrohen und Gefahren für die Öffentlichkeit und die Umwelt darstellen.

Deshalb wird es für die Bordnetzhersteller künftig wichtiger denn je, im Fall eines Problems die Ursachen dafür rasch zu identifizieren und zu beseitigen sowie sofortige und gezielte Rückrufe zu ermöglichen. Nur so lassen sich die potenziellen Gefahren schnell eingrenzen und Imageschäden reduzieren – sowohl was das Ansehen des Bordnetzherstellers bei den Automobilherstellern betrifft als auch den Ruf der Automobilhersteller bei den Endkunden.

Am besten ist es aber natürlich, Probleme von vornherein zu vermeiden. Dadurch können die Bornetzhersteller nicht nur die genannten Gefahren bannen, sondern auch empfindliche Strafzahlungen vermeiden. Im Kontext des autonomen Fahrens verlagert sich nämlich die Haftung vom Fahrer des Autos auf seinen Hersteller, dessen Zulieferer und sogar einzelne Individuen innerhalb der Wertschöpfungskette. Verursacht ein fehlerhaftes Bordnetz in einem autonomen Fahrzeug einen Unfall, muss sein Hersteller mit einer Strafe rechnen, die hunderte Millionen Euro betragen kann.

Digitale Repräsentanzen der Bordnetze ermöglichen durchgängige Rückverfolgbarkeit

Aus diesen Gründen führt für Bordnetzhersteller kein Weg mehr daran vorbei, eine lückenlose Rückverfolgung ihrer Produkte zu implementieren. Realisieren können sie das mit Hilfe Digitaler Zwillinge. In diesem Kontext handelt es sich hierbei um digitale Repräsentanzen der Bordnetze, die miteinander verbundene und konsistente Datensätze enthalten und es den Herstellern damit ermöglichen, ihre Produkte über den kompletten Lebenszyklus rückzuverfolgen.

Hierzu decken die Digitalen Zwillinge zwei Dimensionen ab. Zum einen die Produkthistorie, die es erlaubt, die Zusammensetzung eines Bordnetzes zu rekonstruieren und die damit eine vertikale Rückverfolgbarkeit gewährleistet; und zum anderen die Prozesshistorie, mit der sich der Wertschöpfungsprozess nachvollziehen lässt und die dadurch eine horizontale Rückverfolgbarkeit sicherstellt.

Für die Produkthistorie führt der Digitale Zwilling die Rohmaterialien, die selbst produzierten Teile und die Zukaufteile zusammen, die für die Herstellung eines Bordnetzes verwendet wurden. Das ermöglicht es den Herstellern, Fehler zu lokalisieren, zu beheben und den Automobilherstellern Daten für schnelle und eng eingegrenzte Rückrufe zur Verfügung zu stellen. Für die Prozesshistorie fließen in den Digitalen Zwilling Informationen ein, die die Entstehungsgeschichte eines Bordnetzes beschreiben – einschließlich der Prozessschritte und der Prozessparameter, die durchlaufen beziehungsweise verwendet wurden, um das Bordnetz zu produzieren. Dazu zählen etwa die eingesetzte Kraft beim Crimpen, Werkzeugwechsel, Nachbearbeitungen oder die Ergebnisse von Qualitätstests. Auf Basis dieser holistischen Daten lässt sich die Qualität der Bordnetze mit Hilfe von Predictive Analytics kontinuierlich verbessern. Indem durch Methoden wie Machine Learning Fehlermuster offenbart und ihre Ursachen aufgedeckt werden, können die Hersteller diese Fehler in Zukunft präventiv verhindern.

Digitale Zwillinge mit Manufacturing-Execution-Systemen implementieren

Implementieren lassen sich diese Digitalen Zwillinge mit den Manufacturing-Execution-Systemen (MES), die mit den beteiligten Maschinen, Mitarbeitern und ERP-Systemen kommunizieren. Aufgabe der MES ist es von jeher, die Produktion zu steuern, zu kontrollieren und zu dokumentieren. Das macht sie gewissermaßen auch zur natürlichen Heimat der Digitalen Zwillinge. Deren Qualität hängt aber natürlich maßgeblich von der Konfiguration des realen physischen Prozessablaufs ab, der das System mit Daten versorgt. Um die nötigen Informationen bereitstellen zu können, muss dieser Prozess auf operativer, technischer und organisatorischer Ebene angepasst werden.

Schema eines durchgängigen Rückverfolgbarkeits-Systems
Schema eines durchgängigen Rückverfolgbarkeits-Systems
(Bild: Kuhn und Jost, 2018)

In operativer Hinsicht gilt es, den Arbeitsablauf um Schritte wie das Scannen von Produkten oder die Dokumentation von Qualitätsprüfungsergebnissen zu erweitern. Im Idealfall erfolgt dies durch stationäre Scansysteme oder eine automatisierte Dokumentation durch die Maschinen. So ist ein minimaler Mehraufwand in den Arbeitsabläufen gewährleistet und menschliche Eingriffe bleiben auf ein Minimum beschränkt. Darüber hinaus kann die Einführung von Prinzipien wie FIFO („First in – First out“) und Poka Yokes die Anzahl und Komplexität zusätzlicher Prozessanpassungen deutlich reduzieren. Dennoch benötigen die Digitalen Zwillinge geeignete Geräte, um die rückverfolgungsrelevanten Daten zu erfassen. Das kann auf technischer Ebene die Installation von Scannern oder Updates und neue Konfigurationen von Maschinen bedeuten. Zudem müssen Trace-Objekte ausgewählt und mit Rückverfolgungstechnologien wie Barcodes oder RFID ausgestattet werden. Nicht zuletzt spielt aber auch das organisatorische Bewusstsein eine entscheidende Rolle für die Qualität der Digitalen Zwillinge. Mitarbeiter können nicht länger mehrere Produkte gleichzeitig vorab scannen anstatt jedes einzeln bei seiner Montage, oder dasselbe Produkt mehrmals und stellvertretend für die dann tatsächlich verwendeten unterschiedlichen Bauteile. Mangelt es bei der Ausführung der Prozesse an Disziplin führt das zu fehlerhaften und ungenauen Datensätzen.

MES-Lösungen müssen fließenden Übergang flexibel unterstützen

Die nötigen Prozessanpassungen und die damit einhergehende Modernisierung und weitere Automatisierung der Produktion sind natürlich nicht von heute auf morgen zu erreichen. Dennoch sollten die Bordnetzhersteller das Thema nicht auf die lange Bank schieben, sondern bereits heute den fließenden Übergang einleiten, der vermutlich einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Es liegt an den MES-Anbietern, Lösungen zu entwickeln, die die Hersteller bei diesem Übergang Schritt für Schritt flexibel unterstützen können.

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