Kommentar Quo vadis Industrie 4.0?
Anbieter zum Thema
Warum die vierte industrielle Revolution ausgeblieben ist und mit welchen Ansätzen die Industrie in die Zukunft gehen sollte, um nicht zehn weitere wertvolle Jahre zu verlieren. Ein Kommentar von Michael Finkler.

Von der Überwachung der Lieferkette über die intelligente Verwaltung von Lagerbeständen bis hin zur Inbetriebnahme und Wartung des Anlagenbetriebs – die digitale Transformation ist längst in den deutschen Fabrikhallen angekommen. Allerdings ist vom geschäftlichen Durchbruch beim Vertrieb digitaler Lösungen im industriellen Umfeld bislang wenig zu sehen, obwohl teils intensiv in den Auf- und Ausbau digitaler Infrastrukturen investiert wird.
Ist das Konzept der Industrie 4.0 damit gescheitert? Müssen wir unseren Kurs ändern? Und wenn ja, wie?
Aktuelle Lage und Herausforderungen für die Industrie in Deutschland
Ein systemimmanentes Problem ist sicherlich, dass der Schwerpunkt der Digitalisierung in Europa, und damit auch in Deutschland, in den vergangenen Jahren zu sehr fabrikzentriert und weniger marktorientiert war. Daher sehen wir auch nach zehn Jahren keine nennenswerten Fortschritte bei Produktivität und Profitabilität. Das heutige Produktionsniveau ist auf dem Stand des Jahres 2011. Die Produktivität im Maschinenbau ist trotz hoher Auslastung sogar noch gesunken. Das sind zehn verlorene Jahre, in denen die breite Masse der Industrieunternehmen in ihrer digitalen Transformation kaum vorangekommen ist und weitgehend kein Umsatz- und Gewinnwachstum aufgrund fehlender Investitionen in die Digitalisierung erreicht hat. Aktuelle Studien stellen sogar einen negativen Produktivitätseffekt fest, obwohl vielfältig in Software und Digitalisierung investiert wurde.
Diese Bilanz ist deswegen auch alarmierend, weil Unternehmen aus der Industrie längst weiter sein sollten, um sich für die neuen Herausforderungen der Zukunft zu wappnen. In der Vergangenheit ging es darum, die industrielle Produktion mit Informations- und Kommunikationstechnologien zu verzahnen. Mittlerweile müssen sich insbesondere Unternehmen aus der Produktion für die auch im B2B-Bereich anbahnende Plattformökonomie aufstellen.
Fehlende Erfahrung mit digitalen Plattformen
Es gilt mehr denn je, nicht den Anschluss an die heranrauschende industrielle Plattformökonomie zu verschlafen. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Hyperscaler wie Amazon Web Services, Microsoft und Google den Aufbau von Industrie-Plattformen forcieren.
Eine McKinsey-Studie zeigt zwar, dass die Mehrheit der Maschinen- und Anlagenbauer davon überzeugt ist, die Bedürfnisse ihrer Kunden und Kundinnen hinsichtlich digitaler Plattformen zu kennen und zu erfüllen. Dennoch haben erst rund die Hälfte der analysierten Unternehmen Erfahrungen mit der Entwicklung von Mehrwertdiensten gesammelt – und noch weniger mit Entwicklungen rund um digitale Plattformen. Diese werden von vielen Maschinen- und Anlagenbauern bisher als gering strategisch relevant angesehen. Ein Großteil der Unternehmen nutzt zwar digitale Technologien, um sich die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, nicht aber um neue Geschäftsmodelle etwa in Form von digitalen, portfolio-ergänzenden Mehrwertdiensten zu entwickeln. Nur knapp die Hälfte bietet laut der Studie digitale Lösungen an, die eng mit dem Produktportfolio zusammenhängen und auch monetarisiert werden. Produktunabhängige digitale Lösungen und Betreibermodelle wie „Pay per Use“ rangieren hingegen aktuell als auch zukünftig auf den hinteren Plätzen.
Woran liegt es, dass sich in diesem Fall die Maschinen- und Anlagenbauer, aber auch die Industrie allgemein bisher nicht ausreichend mit digitalen Plattformen und Mehrwertdiensten beschäftigen. Warum wird der eigene Shopfloor, wie auch der Markt nicht digital weiterentwickelt? Fehlende Geschäftsmodelle, eine zu geringe strategische Relevanz und fehlende Standards sind laut der McKinsey-Studie die größten Hürden.
Anforderungen für die Industrie an digitale Plattformen und Mehrwertdienste
Besonders im Maschinen- und Anlagenbau ist es nun wichtig, dass die Unternehmen ein klares Verständnis für die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer jeweiligen Endkundenindustrien entwickeln – wie der Automobilbranche, Bauindustrie, Metallherstellung und -verarbeitung, Nahrungs- und Genussmittelindustrie, Pharma-Industrie oder dem Maschinen- und Anlagenbau (als Endkundenindustrie). Was erwarten Endkunden und -kundinnen von digitalen Plattformen und Mehrwertdiensten? Wo setzen sie ihre Prioritäten?
Mit Blick auf die McKinsey-Studie lässt sich sagen, dass sich die Endkundschaft offene, leicht integrierbare Plattformen wünscht. Bei denen werden klare Industriestandards beziehungsweise Schnittstellen wie zum Beispiel Open-Platform-Communications-Unified-Architecture (OPC UA) genutzt. Großes Augenmerkmal sollten Unternehmen auf die Verfügbarkeit von Echtzeitdaten, Performance und Sicherheitsstandards legen. Auch ein offener Zugang und hohe Kompatibilität sind für Endkunden und -kundinnen wichtige Faktoren, um Plattformen in bereits bestehende digitale Ökosysteme integrieren zu können.
:quality(80)/p7i.vogel.de/wcms/35/9a/359a8a566b91e2ef5817508b9fa7f304/0109148627.jpeg)
Wo bleibt die Praxis?
Diese fünf Leitsätze bringen die Digitalisierung voran
Mittlere Priorität haben hingegen Kriterien wie Kundenfreundlichkeit, Skalierbarkeit sowie ein unmittelbarer Return on Investment (ROI). Aus Sicht der Endkundschaft sind digitale Plattformen primär ein „Enabler“ für (Analytics-)Applikationen sowie Mehrwertdienste. Für sich allein genommen bieten diese noch keinen messbaren Mehrwert im operativen Betrieb.
Bei Mehrwertdiensten sollte stets der Nutzen im Vordergrund stehen. Denn Endkunden und -kundinnen erwarten neben Kosteneffizienz und Benutzerfreundlichkeit vor allem, dass sich durch die angebotenen Dienste Verbesserungen klar quantifizieren lassen. Auswirkungen auf finanzielle Kennzahlen und Erfolgsfaktoren wie Wartungs- und Instandhaltungskosten sowie die Lösung von Problemen sind essenziell. Endkunden und -kundinnen erkennen damit einen Mehrwert und sind bereit, in die Dienste zu investieren. Insbesondere Remote Monitoring, globaler Remote Service oder Remote-Inbetriebnahmen bieten hier große Chancen, wie die McKinsey-Studie anmerkt.
Lösungen und Handlungsempfehlungen
Den Rückstand in der Digitalisierung aufzuholen und den Bedürfnissen der Endkundschaft gerecht zu werden, stellt Unternehmen vor große Aufgaben: Diese müssen sich nicht nur mit Digitalisierungsinitiativen in der Fabrikhalle oder im Büronetzwerk auseinandersetzen, sondern intensiv mit digitalen Geschäftsoptionen und werttreibenden Services beschäftigen.
Hierzu gehört, neue digitale Mehrwertdienste zu identifizieren, die das Unternehmen anbieten beziehungsweise monetarisieren kann. Dazu sollten Lösungen entwickelt werden, die das eigene Produkt- und Serviceportfolio plattformkompatibel machen. Es müssen außerdem Konzepte und Pläne auf den Tisch, die die Wertschöpfungsketten in der Smart Factory optimieren und weiterentwickeln – mit einem Fokus darauf, welche Produkte und Services das Unternehmen digitalisieren und zur Marktreife bringen kann.
Bei Mehrwertdiensten ist die Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Kunden und Kundinnen, aber auch mit der eigenen Herangehensweise zwingend. Vor allem sollten Entscheidende ihre eigenen Stärken im Vergleich zu anderen Anbietenden reflektieren und sich bei der Entwicklung des eigenen Geschäftsmodells auf den Mehrwert des Services für die Endkundschaft fokussieren. Netflix und Amazon haben es im Consumer-Bereich vorgemacht, jetzt ist die B2B-Industrie am Zug.
Für Unternehmensentscheidende empfiehlt sich hierfür ein dreistufiger Ansatz:
- Definition des Marktsegments: Es gilt, den Markt nach anwendungsspezifischen Charakteristika wie der Unternehmensgröße der Kundschaft, IT-Affinität, digitalem Reifegrad der Kundschaft sowie deren Prozess-Know-how zu segmentieren.
- Aufzeigen des Mehrwerts für den Kunden oder die Kundin: Der Segmentierung folgt eine ausführliche Betrachtung und Definition des Mehrwerts aus Kundensicht.
- Festlegen des eigenen Geschäftsmodells: Zuletzt muss das bestmögliche Geschäftsmodell zielgruppenspezifisch festgelegt werden - dessen Alleinstellungsmerkmal wird gegenüber Wettbewerbenden klar definiert und der technologische Vorsprung sowie die Risiken des neuen Geschäftsmodells werden umfassend bewertet.
Auch die Frage, ob sich die Entwicklung einer eigenen Plattform lohnt, ist im Endeffekt von der jeweiligen Endkundenindustrie abhängig. Das wird auch in der McKinsey-Studie deutlich: Bei Endkundenindustrien mit großen Endkunden und -kundinnen, wie der Automobilindustrie, haben Technologie-Player häufig schon die Plattformstandards der Zukunft gesetzt und es wären verlorene Ressourcen, hier noch mitspielen zu wollen. Stattdessen empfiehlt es sich, die Kompatibilität mit bestehenden Plattformen zu maximieren. Sind die Endkundenindustrien allerdings von kleinerer Endkundschaft geprägt und noch frei von einem Plattformstandard, so kann es eine durchaus lohnende Strategie sein, Kooperationen mit Marktteilnehmenden wie etwa Wettbewerbenden einzugehen. Gemeinsam kann somit eine industriespezifische Plattform entwickelt werden.
Entscheidend bei der Entwicklung einer übergreifenden Digitalstrategie sind allerdings auch die Basics, also, dass das IT- und organisationsspezifische Fundament auf einem soliden Stand ist. Egal ob IT-, ERP-, MES-, Finanzbuchhaltungs- oder Planungs-Systeme – sie alle müssen in einen ordentlichen Zustand gebracht werden, also möglichst up-to-date sein. Hierzu bieten sich breit aufgestellte ERP+-Lösungen, wie die von Pro Alpha, an. Nur dann können Unternehmen die Prozesse in der eigenen Organisation optimieren und auch (so banal das klingt) entsprechend an den Daten arbeiten – diese also für die eigenen Geschäfte verwertbar machen.
:quality(80)/p7i.vogel.de/wcms/1f/76/1f760c6ef6254e216a9059b27f2c6612/0108284658.jpeg)
Smart Data in der Elektronikbranche
Wertvolle Erkenntnisse zum Kaufverhalten der Kunden
Die digitale Transformation der Industrie muss in den Köpfen der Entscheidenden stattfinden
Allgemein gesprochen muss ein „Umdenken“ – das von der Unternehmensspitze getrieben wird – stattfinden. Es gilt, Geschäftsmöglichkeiten durch zusätzliche produktbezogene Services über den gesamten Lebenszyklus zu entwickeln. Durch ein Service-Angebot, das auf die Bedürfnisse der Kundschaft zugeschnitten ist, um tatsächlich Nutzen und eine positive Customer Experience zu schaffen, um dadurch die Kundenbindung zu verbessern.
Nur wer die strategische Relevanz digitaler Mehrwertdienste erkennt und adressiert, wird in Zukunft seine Position halten und von der eigenen Prozessnähe sowie dem tiefen Anlagen-Know-how profitieren. Die Industrie muss erkennen, dass digitale Plattformen und Mehrwertdienste heute bereits mehr als nur eine digitale Ergänzung des bisherigen Geschäfts sind. In wenigen Jahren wird sie wettbewerbsentscheidend sein.
(ID:48988277)