Interview Pilz-Innovationsmanager Stark: „Ein Roboter selbst kann nicht sicher sein“
Mensch und Roboter sind heute oft schon Kollegen. Für welche Anwendungen sich diese Zusammenarbeit überhaupt eignet, wie sich diese durch neue Technologien verändert und welchen Einfluss das Thema Sicherheit dabei hat, erklärt Klaus Stark, Innovationsmanager bei Pilz, im Interview.
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Welche Anwendungen eignen sich für eine Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) überhaupt?
Eigentlich alle Anwendungen, bei denen man die jeweiligen Stärken des Menschen und der Maschine, sprich des Roboters, besonders gut kombinieren kann. Da machen MRK-Anwendungen Sinn. Der Roboter hat gewisse Vorzüge. Er kann beispielsweise äußerst genau und ohne müde zu werden arbeiten. Der Mensch wiederum, ist kreativ, kann Entscheidungen treffen, kann Dinge einfach auch anders bewerten. Es gibt viele Bereiche, in denen der Mensch durch seine Augen, durch Fingerfertigkeit, durch Sensorik sehr viel früher spürt, ob ein Prozess richtig ist, ob er qualitativ sauber ist. Um den Roboter dazu in die Lage zu versetzen, würde sonst eine Vielzahl an Sensorik benötigt. Insoweit hat der Mensch Eigenschaften, die man sonst nur mit einem hohen Aufwand technisch leisten könnte. MRK ist auch dort interessant, wo man wechselnde Einsatzfälle hat, wo nicht immer die gleiche Abfolge von Tätigkeiten zu erledigen ist, oder wo schwere Teile zu handhaben sind. Und insoweit testet heute z. B. die Automobilindustrie die Mensch-Roboter-Kollaboration aus - eine Branche, die in der Robotik schon immer Vorreiter war. Testen ist vielleicht ein zu schwaches Wort. In der Automobilindustrie sind vielfältige prototypische Anlagen im Einsatz, mit denen sie ihre Erfahrungen sammelt.
Stichwort Sensorik. Welche Sensorik wird in diesem Bereich denn bisher eingesetzt?
Normativ gesehen gibt es vier verschiedene Methoden, um eine Mensch-Roboter-Kollaboration abzusichern. Und je nach Methode machen unterschiedliche Sensor-Technologien Sinn. Eine Lösung könnte sein, den Raum um den Roboter abzusichern, wenn sich ein Mensch in diesem Raum befindet. Dafür gibt es Trittmatten, Laserscanner oder Kamerasysteme. Wenn Mensch und Roboter „auf Tuchfühlung“ gehen dürfen, könnte der Roboter mit einer „Haut“, also taktiler Sensorik, verkleidet sein. Diese taktile Sensorik erkennt Berührungen und stoppt den Roboter. Alle Sensoriken haben Vor- oder Nachteile. Der Wunsch ist, einen möglichst barrierefreien Arbeitsraum und trotzdem eine kurze Reaktionszeit des Roboters zu haben. Hier haben natürlich Systeme für die Flächen- oder Raumüberwachung Vorteile, weil sie, bevor es tatsächlich zu einer Berührung kommt, die Geschwindigkeit des Roboters reduzieren oder ihn auch abschalten können. Die Sensorhaut kann bei langsameren Bewegungen des Roboterarms eingesetzt werden. Insofern gibt es nicht den Joker, der alle Möglichkeiten umfassend an allen Stellen und für alle Betriebsarten abdeckt. Wenn der Roboter wüsste, wo sich Mensch befindet oder der Mensch wüsste, wo sich der Roboter genau hinbewegen wird und wir das alles miteinander synchronisieren könnten, wäre das die perfekte Lösung. Doch so eine Lösung haben wir noch nicht; da ist noch einiges an Entwicklungsarbeit nötig.
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Ist eine gewisse Limitierung auch dadurch gegeben, dass der Roboter beim Einsatz eben genannter Haut nur eine bestimmte Größe haben kann? Roboterarme gibt es ja in allen möglichen Größen, ab einer bestimmten Größe wird diese Sensorik dann aber wohl schwierig…
Ja, wir können bei der MRK aktuell weder hohe Geschwindigkeiten, noch große Massen in allen Kollaborationsarten realisieren. Ein weiterer Aspekt ist das Werkzeug, das der Roboter braucht, um arbeiten zu können. Wenn sie am Roboter ein Werkzeug wie etwa ein Schneidemesser haben, um eine Kontur auszuschneiden, so ist dieser Vorgang auch dann gefährlich, wenn sich der Roboter nur langsam bewegt. Haben sie dagegen eine Kleberolle, dann kann das Klebeband auch am Arm des Werkers kleben bleiben, ohne dass es zu einer Verletzung kommt. Es ist also nicht nur allein die Geschwindigkeit oder die Masse, die bei MRK-Anwendungen zu berücksichtigen sind. Die Sicherheit hängt auch von dem Werkzeug und dem Prozess ab, der durch den Roboter ausgeführt werden soll. Denn es muss nicht nur der Roboter sicher sein. Auch das Werkzeug muss entsprechend beschaffen sein, damit es nicht zu einer Verletzung oder zu einem Unfall kommt.
Wir sind bei unserer Recherche auf gewisse Irrtümer im Hinblick auf die MRK gestoßen. Einer ist, dass jeder Roboter, der über einen Sensor verfügt, absolut sicher ist. Welche Gefahren bestehen denn bei der Zusammenarbeit mit Robotern, trotz Sensoren?
Wie ich schon sagte: Nicht der Roboter kann sicher sein, sondern die Applikation muss sicher sein. Das ist keine Frage der Robotik; vielmehr muss die gesamte Applikation und die Kooperation mit dem Menschen in Betracht gezogen werden. Insoweit reicht ein Roboter mit integrierten Sicherheitsfunktionen allein nicht aus. Vielmehr muss man die gesamte Arbeitssituation - wo hat ein Mensch Zugang? Welche Körperteile könnten dem Roboter „ausgesetzt“ sein? Ist das Werkzeug sicher? - in Einklang bringen. Dann kann man diese Applikationen sicher machen. Ein Roboter kann in sich selbst nicht sicher sein.
Welche Art von Sensorik ist dann erforderlich, um die Arbeitssituation wirklich sicher zu machen?
Es gibt unterschiedliche Sensortypen, entsprechend den vier in der Normung beschriebenen Kollaborationsarten. Auf der einen Seite gibt es klassische Schutzeinrichtungen wie eine Lichtschranke, einen Laserscanner oder eine Trittmatte, um den Arbeitsraum oder bestimmte Bereiche abzusichern. Auch werden die Bewegungsrichtung der Roboterachsen und die Geschwindigkeit überwacht. Dazu ist natürlich immer auch ein Sensor notwendig. Folglich reden wir bei MRK nicht nur von taktilen oder optischen Sensoren, sondern auch von Sensorik, um die Bewegungen zu überwachen, die der Roboter ausführt. Und abhängig von diesen vier Kollaborationsarten kommt eine Kombination aus diesen Sensoriken zu Einsatz, die die Applikation sicher macht. MRK heißt nicht: Ich kaufe einen Roboter, designe ein Werkzeug und stelle das dann an den Arbeitsplatz. Ich muss die gesamte Applikation im Rahmen einer Risikobeurteilung bewerten und nach dem Aufbau deren Sicherheit validieren und zum Beispiel durch Messungen bestätigen. Erst dann darf ich die Applikationen auch im Feld einsetzen. Das ist Stand der Normen, der Stand der Technik.
Wie wird sich das Arbeitsumfeld verändern, wenn immer mehr intelligente Roboter mit Menschen zusammenarbeiten?
Ich nehme hier eine typische Fertigung als Beispiel. Es werden in zwei Schichten Produkte mit 5000 Sachnummern in einer Woche gefertigt. Dort gibt es typischerweise Highrunner, die laufen Tag und Nacht, und Produkte, die laufen in Manufakturmengen. Das muss die Produktion entsprechend planen. Wenn Mitarbeiter erkranken oder eine Maschine nicht optimal läuft, wäre es natürlich ideal, wenn es solche flexiblen Assistenzroboter gäbe, die einfach dort eingesetzt werden können, wo im Moment der Engpass ist. So eine Art intelligenter Springer, der mobil eingesetzt werden kann. Das Bild, das wir heute haben, ist das von den hünenhaften Robotern in der Fertigungsstraße oder in der Schweißanlage, wo diese vollautomatisch Karosserieteile schweißen. Doch das ist ein Bild aus der Vergangenheit. Die Zukunft wird der flexible Assistenzroboter sein, den ich in der Fertigung dort einsetzen, wo ich ihn brauche.
Das Bild des Roboters und die Einsatzbereiche der Robotik werden sich massiv verändern – über industrielle Anwendungen hinaus. Wenn Sie in einigen Jahren mit der Bahn fahren, fährt vielleicht ein kleines FTS (fahrerloses Transportsystem) oder ein mobiler Roboter durch den Gang und versorgt sie mit Speisen und Getränken.
Ein solcher Roboter hat ganz engen Kontakt mit dem Menschen - und solche Szenarien gilt es auch in sicherheitstechnischer Hinsicht zu meistern. Deshalb glaube ich, dass sich das Bild der Robotik in der Industrie massiv verändern wird.
Bald soll der neue Mobilfunkstandard 5G kommen, der den Datenverkehr dramatisch beschleunigen wird. Was meinen Sie, entstehen durch 5G auch Vorteile für die MRK?
5G ist sehr viel schneller als das aktuelle 4G, mit einem größeren Datenvolumen. Deshalb kann ich alle Prozesse, in denen die Zeit der kritische Faktor ist - zum Beispiel Abschaltzeiten -, noch kürzer ausführen. Es wird Technologien geben, besonders in der Intralogistik, die es erlauben, Objekte zu orten. Das kann z. Bsp. auch mit WLAN und anderen Technologien gelöst werden, natürlich aber auch mit 5G. In der Intralogistik kommt das als Trend sicher in den nächsten ein, zwei oder drei Jahren. Auf lange Sicht verspreche ich mir davon sehr, sehr viel. Ganz sicher kommt es aber zu einer massiven Veränderung in der Intralogistik durch die Möglichkeit, Objekte in der Fabrik zu orten.
Noch einmal zurück zum Roboter als Springer. Beim KIT in Karlsruhe arbeitet man an Roboterschwärmen. Die Vorstellung geht dahin, dass die Roboter praktisch untereinander kommunizieren und dann, sozusagen, mitbekommen, wo ein Engpass in Fertigung ist und sie dann autonom dorthin fahren. Wie realistisch ist dieses Szenario?
Wir werden auf der Hannover Messe 2019 ein FTS zeigen, das mit einem Roboterarm bestückt ist. Interessanterweise spricht der FTS-Hersteller von seinem Fahrzeug als Roboter, wir hingegen vom Roboterarm als Roboter. Die Frage lautet also: Was ist ein Roboter? Nach heutigem Verständnis ist ein Roboter ein FTS mit Roboterarm. Das FTS fährt durch die Fabrik und transportiert Teile, während der Roboterarm z.B. Behälter be- und entlädt und möglichweise bereits Montageaufgaben ausführt. Genau das werden wir auf der Messe zeigen. Das ist ein großer Trend: die Kombination von FTS und Roboter. Wesentlich komplexer wird die Situation, wenn sich mehrere Roboter autonom durch die Fabrik bewegen, um dann irgendwo mit dem Menschen zusammenzuarbeiten.
Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem Forschungsinstitut. Es ging um einen Fall, bei dem fünf Roboter gleichzeitig an einem Werkstück arbeiteten. Die Herausforderung war, zu beurteilen, was die einzelnen Roboter machen und in welcher zeitlichen Abfolge. Dies war fast nicht auflösbar. Insoweit sind Kooperation und Kommunikation notwendig, weil man ansonsten keinen Menschen an solchen Arbeitsplätzen mehr zulassen könnte. Schließlich weiß ich nicht, wie sich die fünf Roboter an der Stelle verhalten werden. Wie die Roboter ihre Aufgaben erhalten, läge dann noch einmal eine Ebene darüber. Mein Bild war jetzt eher das, dass…
… der Mensch dem Roboter einen Auftrag gibt?
Genau. Trotzdem wird sich das Bild des Roboters und mit ihm das Bild der Fabrik ändern, egal welche Funktionalitäten wir an einen Roboter geben. Die Herausforderung besteht in der Kooperation von Robotern, die in enger räumlicher Nähe sind. Die müssen kooperieren, weil sie sich sonst selbst im Weg stünden. Ohne Kommunikation zwischen Maschinen geht also gar nichts.
Damit wäre die Lösung, dass der Mensch und der Roboter zusammenarbeiten weit weniger komplex, als die Zusammenarbeit mehrerer Roboter oder Schwärme?
Nein, wir müssen beides lösen. Fest steht: Wenn die Roboter nicht miteinander kommunizieren, ist das Arbeitsergebnis schlecht. Die Frage der Sicherheit ist noch einmal eine andere Frage. Ich persönlich bin vom Nutzen der Assistenzrobotik überzeugt. Wir waren vor kurzem bei einem Automobilhersteller, der uns erzählte, dass er einen Roboter ins Auto einbauen wolle. Da dachte ich, was für eine verrückte Idee! Wozu um alles in der Welt braucht man einen Roboter im Auto? Ein Roboter und mein Auto, das passt eigentlich nicht zusammen. Doch stellt man sich zum Beispiel ein autonom fahrendes Auto vor, dann ist die Idee plötzlich gar nicht mehr so abwegig. Während der Fahrt könnte der Roboterarm beispielsweise das eine oder andere Getränk bereitstellen. Und schon haben wir ein ganz anderes Bild. Also, ich glaube, dass die Assistenzrobotik ganz allgemein ein großes Thema werden wird – dass mir ein Roboter zur Hand geht, im Krankenhaus oder bei der Pflege, Botengänge oder andere Dienste übernimmt. All das wird massiv zunehmen und insoweit wird sich das Bild – nicht nur das Bild in der Industrie, sondern auch das unseres alltäglichen Umfeldes, verändern. Natürlich ist das auch eine Frage der Akzeptanz und der Sicherheit, wobei mehr Sicherheit in der Regel auch die Akzeptanz in der Anwendung verbessert.
Sie sagten vorhin, dass der Mensch gewisse Fähigkeiten habe, bei denen es schwierig wäre, sie einem Roboter anzuerziehen. Das heißt, wenn der Mensch und der Roboter das Team bilden, übernimmt der Roboter bestimmte Aufgaben, die er gut kann und der Mensch die Aufgaben, die er besser kann als der Roboter. Würden Sie trotzdem sagen, die Automatisierung ist grundsätzlich besser als der Mensch ohne Automatisierung? Schließlich macht der Mensch Fehler…
Jetzt gehen wir tief ins Eingemachte. Nehmen wir als Beispiel einen Mittelständler wie Pilz. Solche Unternehmen haben mehrere Fertigungslinien, die Tag und Nacht laufen und die eine Produktvariante oder eine Produktgruppe herstellen. Das macht vielleicht 20 Prozent der Gesamtproduktion aus; den Rest müssen wir anders organisieren. Industrie 4.0 ist für mich die Aufgabe, eben diese Produktion wirtschaftlich hier in Deutschland oder in Europa zu halten. Dies gelingt uns dadurch, dass wir auch bei kleineren Stückzahlen rationell fertigen können. Das kann man nicht allein durch eine hochautomatisierte Produktion in der klassischen Art und Weise bewerkstelligen. Vielmehr muss ich sehr viele wechselnde Einsatzfälle lösen. Und dafür brauche ich den Menschen, der das erkennt und viel Wissen und Erfahrung einbringen kann. Ich glaube, dass es deshalb die menschenleere Fabrik nicht geben wird. Sicher, für bestimmte Branchen mag es eine vollautomatisierte, „durchroboterisierte“ Fertigung geben, z.B. im Handybereich, wo ich für zwei Jahre ein Modell in großen Stückzahlen produziere. Doch bei allem, was eine hohe Varianz hat, wo auch andere Dinge mit hineinspielen, ist die Herausforderung eine andere. Hier spielt der Roboter eine ganz andere Rolle als in der Massenfertigung. Der Roboter hilft hier in der Nachtschicht. Er ist jemand, der das Unternehmen unterstützt, wenn es Personalengpässe gibt. Er organisiert den Materialfluss. Aber er ersetzt nicht den Menschen in der Produktion.
Seit einiger Zeit kommen immer preisgünstigere Roboterarme auf den Markt, die obendrein einfach zu programmieren sind. Angefangen hat damit die dänische Firma Universal Robots; nach und nach sind weitere Anbieter dazu gekommen. Etablierte Hersteller wie KUKA setzen ebenfalls zunehmend auf solche Leichtbauroboter. Und auch Pilz hat ein Angebot für die Service-Robotik auf den Markt gebracht. Hat sich dadurch die Einstiegsschwelle in die Roboterautomatisierung vermindert?
Natürlich. Durch den Leichtbau und die höhere Roboter-Stückzahl ist der Preis deutlich gesunken, zumindest was den Roboter selbst betrifft. Hinzu kommt aber die Themen Werkzeug und Sicherheit. Und diese Fragen stellen sich bei jeder Applikation neu: Sie haben am Produkt etwas geändert oder am Werkstück? Dann brauchen Sie unter Umständen einen anderen Greifer. Sie müssen den Roboter neu programmieren und das Ganze wieder sicher machen. Das heißt, das Thema Roboterautomation ist keineswegs mit einem einmaligen Invest abgetan. Weil ein Produkt während seiner Lebensdauer immer wieder modifiziert bzw. verändert wird, brauchen sie die gleiche Varianz auf Seiten des Roboterarbeitsplatzes.
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