Zukunft des IIoT Neue technologische Enabler und Anwendungskontexte fernab der Fabrik- und Lagerhalle
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Welche neuen technologischen Möglichkeiten können wir erwarten? Wie werden sich die Anwendungskontexte von Technologien aus dem IIoT-Bereich erweitern? Das Zukunftsbüro des Bundesministeriums für Bildung und Forschung befasst sich mit diesen zentralen Fragestellungen.

Kein anderes Feld technologischer Innovationen hat die Industrie in den letzten Jahren so stark geprägt wie das Industrielle Internet der Dinge (IIoT) im Kontext der Industrie 4.0. Es ist ein historischer Meilenstein ähnlich einschneidend wie die Erfindung der Dampfmaschine oder die Einführung der Elektrizität. Dieser Transformationsprozess ist noch längst nicht abgeschlossen: Die Vernetzung der industriellen Produktion nimmt beständig zu, Algorithmen des maschinellen Lernens verbessern die Prozesse. Innovationen im Internet der Dinge (IoT) haben längst Implikationen weit über den industriellen Kontext hinaus: So ergeben sich zum Beispiel neue Chancen für kohlenstoffneutrale Lebensweisen, neue Risiken entstehen im den Bereichen IT-Sicherheit und Überwachung.
Schon heute gibt es über diese bekannteren Entwicklungen hinaus viele weitere Hinweise, wie sich diese technologische Revolution in den nächsten 10 - 20 Jahren weiterentwickeln wird. Das Zukunftsbüro des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gibt mögliche Antworten auf diese und viele weitere Fragen.
Mithilfe verschiedener, wissenschaftlicher Foresight-Methoden werden Hinweise auf zukünftige Entwicklungen und Zukunftstrends, die sich bereits in der Gegenwart andeuten, strukturiert zusammengefasst. Diese systematische Suche nach möglichen Zukunftsszenarien lässt auch Veränderungen im IoT erkennen. Neue technologische Enabler wie Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz oder der Robotik treiben die Entwicklungen an. Das Spektrum der technologischen Möglichkeiten wird größer. Die Anwendungskontexte der Technologien werden vielseitiger und reichen weit über die Fabrik- und Lagerhalle hinaus. Im Folgenden werden vier Anwendungskontexte skizziert, in welchen das IIoT künftig eine größere Rolle spielen wird.
Bausektor
Gerade komplexe Projekte und Anwendungen könnten stark vom IoT profitieren. Beispielsweise hängt der Erfolg großer Bauprojekte in hohem Maße von der Koordination der Arbeitskräfte sowie der verschiedensten Gewerke, Maschinen und Arbeitsschritte ab. Findet diese nicht statt, so kann es zu kostspieligen Verzögerungen oder gravierenden Mängeln kommen. Die Digitalisierung von Bauprojekten mithilfe fortschrittlicher IoT-Lösungen kann hier Abhilfe schaffen. Bis heute sind im Bausektor weltweit Investitionen in Höhe von etwa 8 Mrd. USD in IoT-Lösungen geflossen – Tendenz weiter steigend.
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Rapid Prototyping
Baumaschinen mit digitalem Zwilling testen
Die künftigen Anwendungspotenziale von IoT im Bausektor sind vielfältig. Getrieben werden sie auch durch die Verschärfung des Fachkräftemangels sowie stärkere regulatorische Vorgaben. So soll etwa die Umweltverträglichkeit von Gebäuden über deren gesamten Lebenszyklus hinweg erhöht werden. Ebenso nimmt die Funktionalisierung von Gebäuden stärker zu, etwa zur Energieerzeugung oder der Erhöhung der Klima-Resilienz in dezentralen Smart-City-Netzwerken. Die Komplexität von Planung, Koordination und Umsetzung wächst.
Eine attraktive Möglichkeit bieten vernetzte Augmented- und Mixed-Reality-Anwendungen. Diese könnten nicht nur bei der gemeinsamen Konzeption und Visualisierung, sondern auch beim Bauprozess selbst unterstützend wirken. Baupläne, Arbeitsanweisungen und benötigte Materialen können den Bauarbeitern live und positionsgenau im Blickfeld eingeblendet werden. Schwärme von Mini-Drohnen könnten eingesetzt werden, um die Baustelle zu sichern und den Baufortschritt aus der Ferne zu überwachen. Vernetzte Sensorik kann dabei helfen, mittels Predictive Maintenance, also der vorausschauenden Wartung mittels der Analyse von Nutzungsdaten, den Verschleiß von Baustellenequipment zu antizipieren bevor dieses tatsächlich ausfällt. Ein beträchtliches Potenzial haben auch autonome Baufahrzeuge und -roboter. Sie können Bauarbeiter von physisch anstrengenden Hebe- und Transporttätigkeiten entlasten und Bau- und Räumtätigkeiten unabhängig von Arbeitszeiten oder Pausen.
Flughäfen und Hafenanlagen
Auch Flughäfen und Hafenanlagen sind durch eine Vielzahl an komplexen Prozessen und unterschiedlichen Funktionalitäten gekennzeichnet. Sie sind daher prädestiniert für Automatisierung und IoT-Technologien. Die Technologien wirken unterstützend, die betriebliche Effizienz zu steigern und im sich verschärfenden globalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben. Flughäfen und Hafenanlagen werden daher ebenfalls zunehmend auf IoT-Anwendungen setzen.
Ob der Flughafen in Atlanta oder die Häfen in Hamburg und Singapur – die Nutzung von IoT-Anwendungen wächst. Häfen erfordern für einen optimalen Ablauf von Prozessen ein genaues Zusammenspiel von Menschen, Anlagen, Waren und Infrastrukturen. Dreht sich auch nur ein Rädchen im Gesamtsystem falsch, können hohe Kosten die Folge sein.
Schätzungen zufolge entstehen der globalen Wirtschaft durch Verzögerungen im Warenumschlag - und sind es nur wenige Tage - jährlich Verluste in Höhe mehrerer Milliarden Euro. Investitionen in IoT-Anwendungen können das wirtschaftliche Risiko senken. Wie auch im Bausektor ist gerade die Relevanz von Predictive-Maintenance-Systemen enorm. Kräne sowie andere Be- und Entladesysteme, die täglich mehrere Tonnen an Lasten bewegen, sind anfällig gegenüber Verschleißerscheinungen. Die Kosten sind hoch, wenn sie einmal komplett ausfallen. Ebenso gewinnt das digitalisierte und vernetzte Dokumentenmanagement und Waren-Tracking an Bedeutung. In vielen Häfen ist das manuelle Scannen von Wareneingängen und die Auftragsabwicklung mit Papierdokumenten noch immer gang und gäbe – mit menschgemachten Fehlern als logische Konsequenz. Kontaktlose und automatisierte Identifizierungs- und Authentifizierungssysteme mithilfe von Blockchain-Technologien können nicht nur das Fehlerrisiko minimieren, sondern auch den Warenumschlag erheblich beschleunigen. Intelligente Sensorik kann auch die Transparenz der Lieferketten erhöhen. Der regulatorische Druck hierauf wächst. Wo kommt das Produkt her, wurden Kühlketten eingehalten, welche Materialzusammensetzungen liegen vor? All dies lässt sich in integrierten Sensor-Netzwerken schnell kommunizieren. Zu guter Letzt wird künftig auch der Einsatz von Robotern und Drohnen an Häfen und Flughäfen zunehmen – sei es im Bereich der Sicherheit und Überwachung oder dem autonomen, intralogistischen Warentransport.
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Mobilfunk
5 Anwendungsfälle für 5G-Campusnetze in Häfen
Freizeitparks
Die Nutzung von IoT-Applikationen in Freizeitparks nimmt in der Foresight-Diskussion bisher eine eher untergeordnete Rolle ein. Doch gerade hier können sie ihr volles Potenzial ausspielen und Parkbetreiberinnen und -betreibern sowie Besucherinnen und Besuchern erhebliche Vorteile bieten.
In immer mehr Freizeitparks beginnen digitale und analoge Technologien zusehends zu verschwimmen. Rund um den Globus experimentieren Freizeitparks etwa mit Virtual- oder Mixed-Reality-Erlebnissen in ihren Fahrattraktionen oder haben diese bereits fest ins Programm aufgenommen – man denke etwa an Achterbahnen mit VR-Technologie, sogenannte VR-Coaster. Mittels einer VR-Brille auf dem Kopf erleben die Mitfahrenden gänzlich neue Welten und können hierbei sogar oft zwischen verschiedenen Thematiken wählen. Die Synchronisation von Beschleunigung, Kurvenverhalten und Wendungen ist unabdingbar für das perfekte Fahrerlebnis und somit das perfekte Spielfeld für IoT-Konnektivitätslösungen mit geringer Latenz und hoher Datenübertragungsrate wie 5G oder dem Nachfolger 6G.
IoT-Lösungen können in Freizeitparks aber auch zum Einsatz kommen, um Betriebskosten einzusparen und kostspieligen Ausfällen von Parkattraktionen entgegenzuwirken – auch hier spielt das Potenzial von Predictive Maintenance eine wichtige Rolle.
Ein wesentlicher Beschleuniger für die weitere Verbreitung von IoT-Lösungen in Freizeitparks ist die COVID-19-Pandemie. Die stark gewachsenen Anforderungen an Hygiene und Abstand werden so schnell nicht wieder verschwinden. Kontaktloses Bezahlen, das Buchen von Zeitslots für die Nutzung von Attraktionen („virtuelles Schlange stehen“) sowie die intelligente Navigation, Routenführung und Service-Erbringung mittels Geolokalisierung und dem Tracking und Tracing von Besuchenden machen den Parkbesuch nicht nur sicherer, sondern auch komfortabler.
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Smart Farming
Sauwohl: Artgerechtere Schweinehaltung dank Big Data Analytics
Vertikale High-Tech Landwirtschaft
Auch in der Landwirtschaft zeigen sich Potenziale für den Einsatz von IoT. Hoch digitalisierte Prozesse sind in der Landwirtschaft nicht neu. Anwendungen wie das Precision Farming, also die zielgerichtete Bewirtschaftung von Flächen und Pflanzen auf der Basis verschiedenster Daten aus unterschiedlichen Quellen werden von immer mehr Landwirtinnen und Landwirten praktiziert. Auch Drohnen finden immer häufiger Einzug in den Luftraum über den Ackerflächen. Als drittes Auge erkennen sie aus der Vogelperspektive, ob Pflanzen so gedeihen wie sie sollen und erkennen Schädlinge oder Krankheiten mühelos und schnell. Doch neben der konventionellen Landwirtschaft im Freien öffnet sich ein gänzlich neuer Raum für IoT-Anwendungen in der Nahrungsmittelproduktion. Eine „Nahrungsmittel-Revolution“ kündigt sich an.
In kontrollierten, laborähnlichen Umgebungen, oft in der Form vertikal gestapelter Container oder Etagen, lässt sich künftig ein wachsender Teil pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse nachhaltig produzieren– unabhängig von klimatischen Bedingungen. Und das Ganze nah an den Verbraucherinnen und Verbrauchern, gerade in Städten. So strebt etwa das Land Singapur an, durch „Vertical Farming“ unabhängiger von Lebensmittelimporten zu werden und sich zum Selbstversorger zu wandeln.
Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen sowie deren Steuerung und Überwachung über Daten-Plattformen sowie integrierte Sensorik und Aktorik nimmt hierbei eine Schlüsselstellung ein. Beleuchtung, Klimatisierung, Lüftung und Nährstoffzufuhr müssen eng aufeinander abgestimmt sein, um die perfekten Wachstumsbedingungen zu liefern. Das gleiche gilt für das Management geschlossener Kreisläufe, insbesondere auch in kombinierten Hydroponics-Systemen, in denen etwa die Fisch- und Pflanzenzucht symbiotisch verschmelzen. Für all diese Prozesse sind autonome, selbstorganisierende IoT-Systeme Voraussetzung. Aber auch Robotiklösungen nehmen einen größeren Raum im Lebensmittelanbau der Zukunft ein. Micro-Roboter und Drohnen etwa können Pflanzen die benötigten Nährstoffe situativ und präzise zuführen und den Wachstumsprozess überwachen.
Weiteres Potenzial
Der Erfolg der aktuellen industriellen Revolution durch das Internet of Things lässt weitere Revolutionen in völlig anderen Kontexten folgen. Gemeinsames Merkmal dieser ist vor allem eine hohe Komplexität der Abläufe und Prozesse sowie große wirtschaftliche Schäden durch den Ausfall von Maschinen. Foresight kann helfen, diese Muster systematisch zu erfassen.
* Sivert von Saldern arbeitet als Foresight Manager bei Z_punkt The Foresight Company. Dr. Georg Klose ist Leiter Digital Development bei der Prognos AG.
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