Expertenbeitrag

 Bernd Gross

Bernd Gross

SVP IoT & Cloud Business Unit, Software AG, und CEO Cumulocity, Cumulocity GmbH

Digitales Vertrauen Mit Distributed-Ledger-Technologie und IoT zur Industrie der Zukunft

Von Bernd Gross

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Die Digitalisierung erfordert neue Antworten auf die Frage, wie sich Vertrauen in der Wirtschaft herstellen lässt. Klassische, oftmals papierbasierte Dokumentationen stoßen an ihre Grenzen. Die Distributed Ledger Technologie – gepaart mit IoT – bietet eine Lösung.

Je vernetzter unsere Welt, desto größer der Stellenwert vertrauenswürdiger dezentraler Datenspeicherung – hier setzt die Distributed-Ledger-Technologie an.
Je vernetzter unsere Welt, desto größer der Stellenwert vertrauenswürdiger dezentraler Datenspeicherung – hier setzt die Distributed-Ledger-Technologie an.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay)

Eines Tages floss nichts mehr. Die Banken in Europa liehen sich kein Geld. Zwar pumpten die Notenbanken Milliarden in die Märkte, doch kaum etwas kam bei den Unternehmen und damit der Realwirtschaft an, die dringend auf frisches Kapital und Liquidität angewiesen waren. Das Beispiel zeigt sehr deutlich: Die Finanzkrise von 2008 war auch eine Vertrauenskrise. Aller Regulatorik und Fortschritte zum Trotz ist Vertrauen bis heute die oftmals fragile Grundlage unseres wirtschaftlichen Handels – ob in der Finanzbranche, im Handel oder in der Industrie.

Der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann beschrieb Vertrauen als „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“. Tatsächlich stößt Vertrauen in einer immer stärker vernetzten Welt jedoch an Grenzen. Um das Vertrauen dennoch aufrechtzuerhalten, kommen je nach Branche und Anlass in der Wirtschaft Audits, Protokolle, Zertifikate und verschiedenste andere Arten umfangreichster Dokumentationen ins Spiel.

Wer hat welches Produkt zu welchem Zeitpunkt erhalten? Welche Service-Leistung wurde wann wie ausgeführt? In welchem Zustand befand sich eine Ware zu einem bestimmten Zeitpunkt? Das sind die typischen Fragen, um die es dabei geht. Das Problem ist nur: Keine dieser Maßnahmen reduziert die Komplexität, das Gegenteil ist der Fall – und echtes Vertrauen ist damit überhaupt nicht gegeben.

Vertrauen in einer dezentralen Datenwelt

Mit der fortschreitenden Digitalisierung haben Unternehmen nun völlig neue Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten und zueinander Verbindungen aufzubauen – global und bisweilen äußerst kurzlebig. Sie können sich dauerhaft in Peer-to-Peer-Netzwerken beteiligen oder eine einmalige Konnektivität pflegen. Digitale Schnittstellen schaffen dafür die Voraussetzung und bringen mehr Stakeholder zusammen als jemals zuvor.

Das Potenzial all dieser Verbindungen ist gewaltig. Neue Geschäftsmodelle sind möglich. Die Frage ist jedoch: Wie lässt sich Vertrauen schaffen in einer Welt, in der smarte Sensoren, das Internet of Things sowie Machine-to-Machine-Kommunikation Netzwerke ermöglichen, die sich fortwährend verändern und nicht der Kontrolle eines allmächtigen Treuhänders unterliegen? Das reine Digitalisieren bestehender Papierformulare und Aktenordner ist keine Lösung, da dies allenfalls der Manipulation Tür und Tor öffnet.

Eine mögliche Antwort liefern allerdings Distributed-Ledger-Technologien. Die wohl bekannteste dieser Technologien ist die Blockchain, die vielen vor allem aus dem Zusammenhang mit digitalen Währungen wie Bitcoin oder Ethereum geläufig ist. Doch die Blockchain bietet – so spannend und revolutionär das Konzept auch sein mag – bislang wenig konkrete Anwendungsfälle jenseits der Welt der Kryptowährungen. Der reale, praktische Nutzen ist bis dato eher begrenzt. Die Blockchain und andere DLT-Technologien besitze allerdings das Potenzial, Vertrauen auf eine neue digitale Basis zu stellen.

Was sind Distributed-Ledger-Technologien?

Allgemein beschreibt Distributed Ledger einen Ansatz, bei dem Transaktionen nicht in einer einzigen zentralen Datenbank oder in einem einzigen zentralen Register, auf Englisch ledger, gespeichert, sondern in mehreren gleichberechtigten dezentral verteilten Kopien abgelegt werden – die Informationen zur Transaktion werden also distributed aufbewahrt. Spezialisierte kryptografisch abgesicherte Verfahren – die sogenannten Consensus-Algorithmen – sorgen für das Vertrauen. Sie legen fest, unter welchen Bedingungen die einzelnen Knoten der dezentralen Infrastruktur neue Transaktionen in das gemeinsam replizierte Register aufnehmen. Fälschungen sind auf diese Weise in einem sehr hohen Maße ausgeschlossen, da Änderungen nicht nur in einer, sondern in allen Kopien vorgenommen werden müssten. Auf diese Weise entsteht ein sogenannter Single Point of Truth, eine robuste Vertrauensbasis, die unabhängig von den einzelnen Stakeholdern Bestand hat.

Eine Blockchain nutzt dafür Blöcke von Transaktionen, die in Form einer Kette miteinander verbunden sind. Aktuelle Blockchains wie beispielsweise Bitcoin oder Ethereum sind allerdings auch genau deshalb sehr träge und benötigen aufgrund ihres speziellen Consensus-Algorithmus obendrein eine außerordentlich große Menge an Energie. Geht es um Anwendungen in der Industrie und im Kontext des IoT, wo Tausende von Transaktionen pro Sekunde verarbeitet werden müssen, bieten sich jedoch andere Protokolle an.

Ein Beispiel für ein solches Protokoll ist IOTA. Es nutzt den sogenannten tangle, Englisch für Gewirr. Dabei handelt es sich um eine azyklische Struktur, ein Netz von miteinander verknüpften Transaktionen, das es ermöglicht, eine Vielzahl von Transaktionen parallel durchzuführen. Das macht IOTA als DLT nicht nur im Vergleich zur Blockchain deutlich leistungsfähiger, sondern auch einen ressourcenschonenden Einsatz möglich.

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Aus der Theorie in die Praxis: Welches Potenzial DLT bietet

Wie sehen nun Anwendungsfälle aus, in denen DLT gepaart mit IoT als vertrauensstiftende Lösung zum Tragen kommen kann? Ein Beispiel sind Pay-per-Use-Anwendungen. Die Raten für die Finanzierung einer Maschine richten sich also nach der tatsächlichen Nutzung. Gänzlich neu ist das Konzept nicht. Doch der Einsatz von IoT gepaart mit DLT macht es ungleich attraktiver für alle Beteiligten.

Anstatt sich manuell an Wartungsplänen abzuarbeiten oder Nutzungswerte händisch zu erfassen, halten IoT-Sensoren über eine Distributed Ledger Technologie die entsprechenden Daten fest, kryptografisch verschlüsselt und dezentral gespeichert. Die Informationen zur Nutzung, zum Verschleiß oder auch zur Leistung der Maschine sind über das gemeinsame geteilte Register so für alle Stakeholder verfügbar, wie beispielsweise für Banken und Versicherungen. Die Besitzer der Maschine hat Gewissheit über die Daten, die der Finanzierung zugrunde gelegt werden. Das Risiko der Banken bei der Finanzierung sinkt, wodurch sie günstigere Kredite vergeben können. Dritte wie beispielsweise Versicherungen können ebenfalls partizipieren und einen zum Nutzungsverhalten passenden Versicherungsschutz anbieten.

Ein solcher Anwendungsfall lässt bereits erahnen, dass der DLT-Einsatz damit auch völlig neue Geschäftsmodelle ermöglicht. Die mit IoT-Sensoren ausgestattete Maschine könnte ihre Daten mittels DLT jedoch auch mit anderen Akteuren teilen: beispielsweise mit Zulieferern oder mit Online-Marktplätzen für Fabrik-Kapazitäten. Darüber hinaus erlauben manche DLT-Technologien wie IOTA auch die Erstellung und automatisch gesicherte Ausführung von sogenannten Smart Contracts, gewissermaßen komplexere Transaktionen einschließlich des Transfers von (Geld-)Werten zwischen Geräten und Programmen, also Machine-to-Machine.
Man denke etwa an den Fall, wo ein Lackierroboter automatisch bei einem entsprechenden Lieferanten neuen Lack bestellt und selbständig bezahlt, sobald der eigene Tank wieder gefüllt ist. Die Distributed-Ledger-Technologie hat damit das Potenzial, die Türen in der Industrie ganz weit zu öffnen und Coopetition zu ermöglichen – also die Zusammenarbeit mit Wettbewerbern.

Ein anderes Beispiel ist die Wartung und Instandhaltung von Maschinen, die oftmals mit einer umfangreichen Dokumentation einhergeht – das gilt insbesondere dann, wenn die jeweiligen Maschinen eines Tages den Besitzer wechseln sollen. Für Flugzeuge gilt es dabei etwa jeden Wartungshandgriff genau zu dokumentieren. Eine vollständige Dokumentation erfordert auch Angaben, wohin ein Flugzeug geflogen ist oder wie viel Treibstoff es verbraucht hat. In Papierform füllen solche Angaben Tausende von Seiten. In digitaler Form braucht es jedoch das notwendige Maß an Schutz vor Manipulation.

Die notwendigen Daten können auch hier – zumindest in Teilen – bereits IoT-Sensoren liefern. Die Dokumentation selbst erfolgt erneut mithilfe der DLT. Auch in der Logistik und bei der Dokumentation von Lieferketten lassen sich die Kombination aus DLT und IoT nutzen, um bislang papierbasierte Prozesse nicht nur zu digitalisieren, sondern auch deutlich effizienter zu gestalten. Kühlketten lassen sich vollautomatisch überprüfen, Lieferausfälle frühzeitig erkennen, weil Sensoren in den Containern dieser Informationen über die DLT bereitstellen.

Eine Lösung für das dezentrale digitale Zeitalter

Was dabei wichtig ist zu verstehen: Ja, viele solcher Lösungen lassen sich auch ohne DLT in einer wirklich dezentralen Form, also ohne einen zentralen Man in the Middle, umsetzen. Doch anders als bei den dann verwendeten technologischen Behelfsmitteln wurde die Distributed-Ledger-Technologie genau für solche Anwendungsfälle der dezentralen Datenspeicherung entwickelt. Andere Lösungsansätze gehen automatisch mit mehr Komplexität einher, weil sie verschiedenste Technologien miteinander verknüpfen müssen. Doch Komplexität schafft kein Vertrauen – die Distributed-Ledger-Technologie hingegen schon.

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