Interview "Meine größte Sorge: dass die Fabrik der Zukunft mit der Digitalisierung des Alten gleichgesetzt wird."

Redakteur: Nikolas Fleschhut

In seiner aktuellen Veröffentlichung "Ilusion 4.0 - Deutschlands naiver Traum von der smarten Fabrik" stellt Professor Dr. Andreas Syska die These auf, dass Industrie 4.0 so wie es momentan gedacht und umgesetzt wird, nicht funktioniert. Wir haben mit ihm über diese Thesen gesprochen.

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Interview mit Professor Dr. Syska.
Interview mit Professor Dr. Syska.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay / CC0 )

Lieber Herr Syska, Sie sprechen in Ihrem Expertenbeitragvon „Deutschlands naivem Traum von der deutschen Fabrik“ – Was ist Ihrer Meinung nach naiv an der deutschen Herangehensweise?

Es ist naiv zu glauben, man könne ein komplexes, chaotisches und soziales System wie eine Fabrik mit Algorithmen steuern. Das hat noch nie funktioniert und wird auch dieses Mal nicht funktionieren, so ausgeklügelt diese Algorithmen auch sein mögen.

Es ist naiv zu glauben, dass der einzige Sinn der Vernetzung digitaler Objekte die Performancesteigerung in den Fabriken ist. Was für ein mächtiges Instrument hat man mit dem Internet der Dinge in den Händen und wie kleinmustrig gedacht sind viele Anwendungsbeispiele.

Einigkeit herrscht darin, dass Industrie 4.0 die Wertschöpfung grundlegend verändert – schließlich spricht man ja auch von einer Revolution. Ist es da nicht naiv, zu glauben, alles um einen herum würde sich verändern, nur das eigene Geschäftsmodell nicht, wie sich das die meisten Fabrikausrüster derzeit vormachen?

Industrie 4.0 wird mit der aktuellen Herangehensweise nicht funktionieren - schlimmer noch: Potentiale werden nicht erkannt und liegen gelassen - dieser Überzeugung ist Prof. Dr. Andreas Syska.
Industrie 4.0 wird mit der aktuellen Herangehensweise nicht funktionieren - schlimmer noch: Potentiale werden nicht erkannt und liegen gelassen - dieser Überzeugung ist Prof. Dr. Andreas Syska.
(Bild: Syska)

Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit die Umsetzung von „Industrie 4.0“ gelingt?

Man darf das Thema nicht nur den Produktionsingenieuren überlassen - wir müssen es vom Markt und von der Gesellschaft her angehen. An der Stelle wird sichtbar, wie hinderlich die Bezeichnung „Industrie 4.0“ eigentlich ist, denn sie limitiert das Denken auf die Themen Fabrik und Produktivität.

Der eigentliche Sinn der webbasierten Vernetzung besteht in datenbasierten Geschäftsmodellen, ihre Potenziale liegen außerhalb der Fabriken. Diese Potenziale findet man aber nicht, wenn der Denkhorizont nur bis ans eigene Werkstor reicht.

Wo sehen Sie die größten Unterschiede im Vergleich zum Beispiel mit der Konkurrenz aus den USA?

Die Deutschen tüfteln hingebungsvoll an Schnittstellen und verlieren sich in technischen Details, die Amerikaner entwerfen Geschäftsmodelle. Die Deutschen fragen sich: „Wie bringe ich das technisch ans Laufen?“ Die Amerikaner fragen sich: „Wie kann ich damit Geld verdienen?“ Die Rollenverteilung ist klar. Die Amerikaner stecken die digitalen Claims ab und schaffen neue Märkte, während sich die Deutschen widerstandslos den Platz in der zweiten Reihe haben zuweisen lassen – als austauschbare Hardwarelieferanten von Internetunternehmen. Dabei haben unsere Fabrikausrüster, die Industrie 4.0 lediglich als Konjunkturprogramm begreifen und sich angesichts erwarteter Umsatzzuwächse derzeit freudig die Hände reiben, nicht verstanden, dass es genau diese Entwicklung ist, die sie selber hinwegfegen wird, wenn sie nicht gegensteuern.

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