Modulare Produktion Wer profitiert von einem Matrixproduktionssystem?

Ein Gastbeitrag von Dr. Arvid Hellmich und Michael Trierweiler* |

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Globale Krisen, Lieferkettenprobleme, individualisierte Produktion: Moderne Matrixproduktionssysteme versprechen die Herausforderungen des Marktes auch in schwer berechenbaren Zeiten zu bewältigen. Wie soll das funktionieren?

Matrixproduktionssysteme sind in der Lage, die zunehmend komplexen Anforderungen von Kundinnen und Kunden zu meistern und können Unternehmen helfen, ihre Produktivität und Resilienz zu steigern, um im globalen Wettbewerb weiter bestehen zu können.
Matrixproduktionssysteme sind in der Lage, die zunehmend komplexen Anforderungen von Kundinnen und Kunden zu meistern und können Unternehmen helfen, ihre Produktivität und Resilienz zu steigern, um im globalen Wettbewerb weiter bestehen zu können.
(Bild: frei lizenziert / Pexels)

Unter einer Matrixproduktion versteht man ein modular aufgebautes Produktionssystem, dessen Prozessmodule schachbrettartig auf dem Layout angeordnet sind. Die Prozessmodule sind frei anfahrbar, können individuell beplant und taktunabhängig betrieben werden. Des Weiteren wird über die nicht verketteten Module ein flexibler Materialfluss ermöglicht, welcher manuell oder per fahrerloser Transportsysteme realisiert werden kann. Matrixproduktionssysteme spielen ihre besonderen Stärken in der Herstellung variantenreicher Produktionsprogramme aus.

Lebenszyklusphasen eines Matrixproduktionssystems
Lebenszyklusphasen eines Matrixproduktionssystems
(Bild: Acatech)

Beauftragt vom Forschungsbeirat Industrie 4.0 bei Acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) haben Forschungsteams vom Fraunhofer IWU in Chemnitz und Dresden sowie vom Fraunhofer IPA in Stuttgart eine Expertise zum aktuellen Umsetzungsstand von Matrixproduktionssystemen in der Industrie erarbeitet. Dazu befragten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rund 30 Unternehmen, die entweder Matrixproduktionssysteme nutzen, oder kurz vor der Einführung dieser stehen sowie Technologieanbieter, die die notwendigen Hard- und Softwarekomponenten für eine Matrix entwickeln und anbieten.

Produktänderungen flexibel begegnen

Die Expertise zeigt dabei besonders die Vorteile der modularen Gestaltung einer Matrix auf. Diese zeigt sich über den gesamten Lebenszyklus des Produktionssystems, indem beispielsweise Produktänderungen bei der initialen Gestaltung leicht berücksichtigt werden können. Die einzelnen Prozessmodule werden entsprechend rekonfigurierbar und unabhängig voneinander gestaltet. Zudem ist eine schrittweise Inbetriebnahme möglich.

Nichtsdestotrotz liegen die Hauptvorteile einer Matrix in der Betriebsphase des Produktionssystems: Es können

  • verschiedene Produkte und deren Varianten im selben System produziert,
  • leicht weitere Produkte integriert,
  • feinstufig auf Stückzahlveränderungen skaliert und
  • aufwandsarm neue Technologien integriert werden.

Auch kann man im Zuge der Einführung einer Matrixproduktion oft den Automatisierungsgrad erhöhen. So müssen Unternehmen im Vergleich zu dedizierten Linien nicht in mehrere automatisierte Stationen investieren. Stattdessen kann ein Investment in nur eine zentrale Automatisierung ausreichen.

Neben Hardwareaspekten spielen Industrie-4.0-Technologien eine entscheidende Rolle in Matrixproduktionssystemen. Das Industrial Internet of Things ermöglicht eine hohe Vernetzung der unterschiedlichen Systembestandteile. So können Materialflüsse kontinuierlich optimiert, autonome Transportfahrzeuge effektiv betrieben oder Planungsszenarien vorab im digitalen Zwilling simuliert werden. Des Weiteren kann der modulare Aufbau des Produktionssystems unterstützen, Mensch-Roboter-Kollaborationen wirtschaftlich einzusetzen. Denn die dafür geeigneten Prozessschritte können in zentralen Stationen gebündelt werden.

Schrittweise Einführung senkt Risiken

Drei Entwicklungspfade zur Matrixproduktion im Überblick.
Drei Entwicklungspfade zur Matrixproduktion im Überblick.
(Bild: Acatech)

Ohne Zweifel sind mit der Einführung einer Matrixproduktion auch Herausforderungen verbunden. In den Interviews mit Industriekunden sind oft Berührungsängste zu erkennen gewesen, die sich auf die Vielzahl zu bedenkender Gestaltungsfelder und deren Abhängigkeit voneinander zurückführen lassen. Daher empfehlen die Forscherinnen und Forscher, die Einführung schrittweise vorzunehmen.

Die Expertise zeigt als Unterstützung hierfür auch branchenspezifische Entwicklungspfade auf. Des Weiteren empfiehlt das Forschungsteam Interessierten, auf das Know-how und die Erfahrungswerte externer Partner zurückzugreifen. Anbieter schlüsselfertiger Lösungen fehlen aktuell noch. Es lassen sich jedoch zunehmend Bestrebungen zur Bildung von lösungsübergreifenden, schlagkräftigen Netzwerken erkennen. So kooperieren bereits Anbieter von FTS mit jenen von ERP-Systemen oder Anlagenbauer mit Anbietern von Werker-Assistenzsystemen.

Kein Königsweg – der Einzelfall entscheidet

Letztendlich – dies kann man als Fazit ziehen – bedarf es immer einer anwendungsspezifischen Analyse, ob und in welcher Form eine Matrixproduktion für ein Unternehmen die passende Lösung ist. Das erste Entscheidungsmerkmal ist in den meisten Fällen das zu fertigende Produkt oder die Produktfamilie. Im Zuge von Kooperationsprojekten analysieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Fraunhofer-Gesellschaft hierfür gemeinsam mit ihren Industriepartnern die zu fertigenden Produkte und deren Komponenten.

Je modularer diese aufgebaut beziehungsweise je höher die Ähnlichkeiten der benötigten Fertigungstechnologien über die verschiedenen Produkte sind, desto höher ist deren Eignung für die Fertigung in einer Matrixproduktion. Im nächsten Schritt schauen sie sich die Ähnlichkeit der benötigten Fertigungsprozesse und -ressourcen an und bewerten den Digitalisierungsstand im Unternehmen. Dies entscheidet letztendlich über diejenigen Synergiepotenziale, die über die Einführung einer Matrixproduktion gehoben werden können und damit über die Sinnhaftigkeit des Gesamtprojektes.

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Ein Weiterer zu beachtender Aspekt ist der generelle Entwicklungsstand der Produktion. Werden beispielsweise bereits Lean-Prinzipien verfolgt? Befindet sich die Produktion noch in einem eher ungeregelten Manufakturstatus? Wenn Letzteres gilt, sollte man zunächst die sogenannten ‚Low-Hanging-Fruits‘ in den Prozessen suchen. Das könnten beispielsweise Standards zur Einplanung und Steuerung von Aufträgen oder zur Bereitstellung von Materialien am Arbeitsplatz sein. Diese Aspekte sollten erfahrungsgemäß bereits umgesetzt sein, bevor die Investition in eine Matrixproduktion erfolgt.

Ist die Investitionsentscheidung für eine Matrix getroffen, können Projektverantwortliche die Umsetzung schrittweise nach Gestaltungsfeldern oder ganzheitlich vollziehen. In jedem Fall gilt: Die Einführung einer Matrixproduktion kann den Ausgangspunkt einer flexiblen, zukunftsfähigen Produktion für das digitale Zeitalter markieren.

* Dr. Arvid Hellmich arbeitet am Fraunhofer IWU. Michael Trierweiler ist am Fraunhofer IPA beschäftigt.

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