Freier Datenfluss in der EU Manufacturing-X: Föderative Datenräume für digitale Wertschöpfung, Resilienz und Nachhaltigkeit

Ein Gastbeitrag von Michael Finkler Lesedauer: 6 min |

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In diesem Jahr dürfte die Europäische Union den Data Act verabschieden. Dieser wird Initiativen wie Manufacturing-X den Weg ebnen und am Horizont erscheint eine völlig neue europäische Datenökonomie. Ziel ist der freie Datenfluss innerhalb der Union und über Sektoren hinweg.

Ob Gaia-, Catena- oder Manufacturing-X: Alle Initiativen für eine souveräne Dateninfrastruktur in Europa basieren auf dem Open-Source-Gedanken und haben den freien Datenfluss zum Ziel.
Ob Gaia-, Catena- oder Manufacturing-X: Alle Initiativen für eine souveräne Dateninfrastruktur in Europa basieren auf dem Open-Source-Gedanken und haben den freien Datenfluss zum Ziel.
(Bild: free licensed / Pixabay)

Die Unterstützung ist groß: Die Bundesregierung, Verbände wie der VDMA, ZVEI, VDI und Bitkom, Fertigungs- und IT-Unternehmen Deutschlands sowie renommierte Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer beteiligen sich an Manufacturing-X . Die Initiative reiht sich in die großen X-Initiativen ein, die Europa als Datenökonomie voranbringen. Außerdem profitiert sie von den in diesen Projekten bereits entwickelten Grundlagen. Zur Erinnerung: Gaia-X ist die europäische Plattform zum Austausch von Daten. Catena-X ist das speziell für die Automobilindustrie gegründete Pendant.

Digitale Transformation neu definiert

Die digitale Transformation hat in den vergangenen zehn Jahren die Bedürfnisse des Kunden ein Stück weit vernachlässigt. Der Fokus lag zu stark auf der eigenen Produktionslandschaft. Die Transformation der Zukunft wird allerdings nicht nur in der Fabrikhalle, sondern maßgeblich auch außerhalb der Fabriktore, insbesondere in Datenräumen, sogenannten Dataspaces, stattfinden. Ob Gaia-, Catena- oder Manufacturing-X: Alle Initiativen für eine souveräne Dateninfrastruktur in Europa basieren auf dem Open-Source-Gedanken und verfolgen das Ziel, die Abhängigkeiten der Plattformökonomie zu umgehen. Statt einer von Unternehmen kontrollierten Plattform soll ein föderativer Datenraum entstehen, der den Kunden in den Mittelpunkt stellt und Teilnehmern ermöglicht, Marktanforderungen schnell umzusetzen.

Dabei ist Manufacturing-X mehr als ein föderativer Datenraum für das produzierende Gewerbe. Neben dem sicheren Teilen von Daten soll laut Bitkom-Positionspapier zu Manufacturing-X auch eine Struktur für „Services, etwa zur Datenveredelung, Anonymisierung, Datenvalidierung oder Überwachung von Compliance“ geschaffen werden. Weiter heißt es in der Datenstrategie der deutschen Bundesregierung, dass „Teilnehmerinnen und Teilnehmern gemeinsame, vertrauenswürdige Transaktionsräume [geboten werden], über die Daten bereitgestellt und gemeinsam ausgewertet oder bewirtschaftet werden können“. Das klingt ambitioniert und ist es auch. Solch eine primär politische Initiative – von der Industrie und Verbänden dankbar aufgegriffen – hat es in diesem Umfang noch nicht gegeben und sie wird die gesamte europäische Fertigungsindustrie beeinflussen.

Digitale Wertschöpfungsketten – 80 Prozent erhobener Industriedaten bislang ungenutzt

Als juristische Grundlage zum Datenaustausch hat das Europäische Parlament den EU Data Act auf den Weg gebracht. Während der Data Governance Act Vorschriften für die Weiterverwendung von öffentlich gespeicherten, geschützten Daten enthält, bildet der Data Act die zweite Säule der europäischen Datenstrategie. Um eine höhere Wertschöpfung aus Daten zu erreichen, regelt die EU-Verordnung den fairen Datenaustausch und die faire Datennutzung zwischen Unternehmen, Verbrauchern und öffentlichen Einrichtungen. Ein rechtssicherer Rahmen macht die Daten zugänglich, die bei der Nutzung von Produkten und Diensten entstehen, und stellt sicher, dass die Nutzer darüber entscheiden, was mit ihren Daten geschieht. Zudem soll er Unternehmen, die aufgrund ihrer Marktposition ihren Vertragspartnern überlegen sind, daran hindern, diese zu einseitigen Zugeständnissen zu zwingen. Bildlich gesprochen wird das Gesetz die Schleusen vermeintlich privater Data Lakes öffnen und die Stauseen von Catena-X, Manufacturing-X und weiterer X-Inititativen fluten, um den Datenraum für eine föderative, datengetriebene Wertschöpfung zu schaffen. Laut Europäischer Kommission ist das Potenzial riesig: 80 Prozent der in der Industrie erhobenen Daten sind bisher noch ungenutzt. Die EU rechnet damit, dass dies einem Volumen von circa 270 Milliarden Euro an zusätzlicher Wertschöpfung bis etwa 2028 entspricht.

Digitale Geschäftsmodelle

Unabhängig davon, wie das europäische Datenrecht letztlich gestaltet wird, ist die forcierte Entwicklung einer funktionierenden europäischen Datenökonomie alternativlos. Eine Studie von McKinsey im Auftrag des VDMA teilt Digitalisierung im Maschinenbau in zwei Bereiche: in die Plattform- und die Anwendungsebene mit Mehrwertdiensten. Diese werden auch als digitale Wertschöpfungsketten dargestellt, in denen Daten analysiert, neu ausgewertet oder zu innovativen Services konfiguriert werden. Damit können dann leicht nutzbare Industrie-Apps oder zubuchbare Services für Endnutzer einer Produktionsmaschine zur Verfügung gestellt werden. Das Ökosystem arbeitet vertrauensvoll in den föderativen Datenräumen, um gemeinsam Nutzen und Mehrwerte für den Kunden zu erarbeiten.

Ein Projekt des Technologieunternehmens Trumpf veranschaulicht die Möglichkeiten digitaler Wertschöpfung über Services, die aus Kundensicht gedacht sind. Es bietet ein neuartiges Servicemodell im Bereich Laserschneidmaschinen an. Das Pay-per-Part-Modell soll es Kunden in Zukunft ermöglichen, Laservollautomaten von Trumpf zu nutzen, ohne diese kaufen oder leasen zu müssen. Kunden zahlen stattdessen für jedes geschnittene Blechteil einen zuvor vereinbarten Preis. Trumpf übernimmt dabei überwiegend die Planung, Betrieb und Wartung der Anlagen beim Kunden. In seiner umfangreichen Ausprägung ist dieses Konzept der Vorwärtsintegration zukunftsweisend. Denn dadurch können Kunden ihre Produktion deutlich flexibilisieren, benötigen weniger Fachkräfte, nutzen die Anlagen intensiver und profitieren vom Know-how des Herstellers über den gesamten Lebenszyklus hinweg.

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Services monetarisieren

Die Daten digitaler Wertschöpfungsketten in Ökosystemen gehören verschiedenen Unternehmen. Sie alle profitieren, indem sie mit den vorliegenden Daten in föderativen Datenräumen diverse Mehrwerte liefern und ihre Leistungen auf diese Weise monetarisieren können. Nach dem Vorbild des längst etablierten Software-as-a-Service-Modells (kurz: SaaS) sind Geschäftsmodelle entstanden, die den Nutzen für den Kunden und nicht das Produkt ins Zentrum rücken. Im Rahmen von Manufacturing-as-a-Service nutzen produzierende Unternehmen dieselbe Maschine oder einen Maschinenpark gemeinsam. Abgerechnet wird die bezogene Leistung. Banken und Leasinggesellschaften, die eine wichtige Rolle im Ökosystem spielen, bieten – oft im Verbund mit dem Hersteller – nutzungsbasierte Finanzierungsmodelle mit Assets-as-a-Service (kurz: AaaS) an. Am weitesten treibt Everything-as-a-Service (kurz: XaaS) die Serviceorientierung. Während sich in der IT neben der Software auch beispielsweise Infrastrukturen, Plattformen sowie Rechenleistung als Services betrachten lassen, zeichnen sich bereits Ansätze ab, diese Sichtweise auf Produktionsumgebungen zu übertragen. Damit die Leistungen im Rahmen eines Lebenszyklus ineinandergreifen, müssen sie vollständig digital erfasst sein und sich die entstehenden Daten über Unternehmensgrenzen hinweg austauschen lassen.

CO2-Bilanzierung: ohne Datenräume deutlich schwieriger

Um die Klimaziele umzusetzen, schnürt der Gesetzgeber das Korsett inzwischen immer enger. Sowohl Regulierungen auf Bundes- als auch auf EU-Ebene verpflichten Unternehmen zu einer umfangreichen Nachhaltigkeitsberichterstattung. Das wird sich auf nahezu alle Unternehmen auswirken, denn Auftraggeber werden von Zulieferern, die noch unterhalb der Bemessungsgrundlage des Gesetzgebers operieren, umfangreiche Informationen und Nachweise verlangen. Gefordert ist eine Gesamtbilanz, die neben dem direkten Schadstoffausstoß im Unternehmen (Scope 1) auch vorgelagerte Aktivitäten wie den bezogenen Strom (Scope 2) und indirekte Emissionen durch vor- und nachgelagerte Aktivitäten aller Art (Scope 3) einbezieht. Um die Datenfügbarkeit signifikant zu erhöhen, müssen sich Unternehmen etwas einfallen lassen – höchste Zeit also für Manufacturing-X und verwandte Initiativen. Je nachdem, wer sich beteiligt, können Plattformen die Beschaffungsaufwände für Daten zur Erfüllung der Berichtspflicht spürbar reduzieren.

Lieferketten: Transparenz und Verantwortung

Auch die Resilienz von Lieferketten wird über X-Initiativen gesteigert. Ein Beispiel: Der Chipmangel der vergangenen Jahre wird in erster Linie der Pandemie zugeschrieben. Im Rückblick zeigt sich allerdings, dass hierfür eine Mischung aus Fehlentscheidungen, zu wenig Transparenz über Verfügbarkeiten sowie Naturkatastrophen und Bränden in Chipfabriken verantwortlich waren. Ein föderativer Datenraum, in dem Produktionsinformationen der gesamten Lieferkette transparent einsehbar sind, hätte möglicherweise zu besseren Entscheidungen geführt.

Hinzu kommt, dass das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz von Unternehmen verlangt, die Verantwortung für ESG-Aspekte auch für Lieferanten zu übernehmen. Es verpflichtet sie, Menschenrechts- und Umweltverletzungen innerhalb der eigenen Geschäftstätigkeit oder der Zulieferer zu identifizieren und ihnen proaktiv zu begegnen. Indirekt wird wie bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung die gesamte Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, betroffen sein, da die berichtspflichtigen Unternehmen von ihren Zulieferern den Nachweis der Gesetzeskonformität einfordern werden.

Manufacturing-X als große Lösung?

Klar ist, ob Nachhaltigkeitsberichterstattung oder Lieferkettengesetz – ohne föderative Datenräume werden Firmen ihren Berichtspflichten kaum nachkommen können. Denn in diesen fließen valide Daten von innerhalb und außerhalb der Unternehmensgrenzen zusammen, die von einzelnen Unternehmen in Eigenregie nicht erhoben werden können. Zudem bietet Manfacturing-X eine realistische Chance für die Industrie, digitale Wertschöpfungsketten, Geschäfts-und neue Monetarisierungsmodelle in die Tat umzusetzen.

Manufacturing-X macht Mut. Zeigt die Initiative, vor allem im Verbund mit weiteren X-Initiativen, dass Europa die digitale Wertschöpfung in die eigenen Hände nehmen will und es nicht länger anderen überlässt, dieses immense Potenzial auszuschöpfen. Der Tisch ist gedeckt. Gern gesehen sind Gäste, die die richtigen digitalen Rezepte und Zutaten mitbringen.

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