Interview mit Vincent Gardès von Kumovis "Lösungen wie unsere werden neue Maßstäbe setzen"
Wir haben mit Vincent Gardès von Kumovis über den Einsatz von 3D-Druck in der personalisierten Gesundheitsversorgung gesprochen. Wieso die Münchner auf ihre 3D-Drucktechnologie vertrauen und was sie damit vorhaben, erfahren Sie im Interview.
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Von der Verbreitung der personalisierten Medizintechnik mittels 3D-Druck würden sowohl Patienten als auch Krankenhäuser profitieren. Zunächst profitieren Patienten beispielsweise von maßgeschneiderten Implantaten, die einen schnelleren Heilungsprozess und eine bessere Lebensqualität ermöglichen. Im weiteren könnten Krankenhäuser und Hersteller Lagerbestände abbauen, weil Teile nur bei Bedarf und vor Ort 3D-gedruckt werden. Für unseren Interviewpartner Vincent Gardès ist klar, dass additive hergestellte Medizintechnik in den letzten zehn Jahren einen großen Schritt nach vorne gemacht hat und heute absolut konkurrenzfähig ist. Wie 3D-Druck in der personalisierten Medizintechnik sinnvoll eingesetzt wird, erklärt Vincent Gardès im Interview.
Können Sie unseren Lesern noch einmal kurz erklären, was unter personalisierter Medizin zu verstehen ist? Und in welchen Bereichen der personalisierten Medizin sehen Sie besonderes Potenzial für den Einsatz von 3D-Druck?
Vincent Gardès: Personalisierte Gesundheitsversorgung bezieht sich unter anderem auf alle Behandlungen, welche die einzigartigen anatomischen wie medizinischen Bedürfnisse eines jeden Patienten individuell berücksichtigen. Seit Jahrzehnten entwickeln und fertigen wir chirurgische Implantate, denen einheitliche Größen und Parameter zugrunde liegen. Dadurch ergeben sich breite Paletten an Produkten, die wiederum riesige Lagerbestände und Abfälle für Industrie und Krankenhaus erzeugen. Mit bedarfsgerecht maßgefertigten Implantaten wird dieses Problem auf sehr intelligente Weise gelöst.
Medizintechnikhersteller haben schon lange den Nutzen der additiven Fertigung für sich entdeckt. Dass das von Vorteil sein kann, zeigte sich bereits zu Beginn der Corona-Krise, als z.B. wichtige Komponenten für Beatmungsgeräte schnell gebraucht wurden. Welche Potenziale sehen sie, die Erfahrungen aus der Medizintechnik in andere Branchen zu übertragen?
Vincent Gardès:Sie haben Recht. Wir stehen aber erst am Anfang der Geschichte. Die meisten 3D-Drucker, die MedTech-Unternehmen derzeit nutzen, wurden ursprünglich nicht für die sehr hohen Anforderungen entwickelt, die für chirurgische Implantate gelten. Daher liefern die Anlagen teilweise nicht die nötige Qualität. Kumovis hingegen entwickelt seine Technologien speziell für die MedTech-Branche. Einen natürlichen Technologietransfer zwischen Sektoren und Industrien wird es geben, sobald eine neue Generation an 3D-Druckern auf den Markt kommt.
Mit additiver Fertigung ermöglichen wir neue Strukturen und Geometrien. Zum Beispiel können wir Implantate damit so funktionalisieren, dass Knochen besser einwachsen. Patientenspezifische Implantate direkt am Einsatzort herzustellen, kann helfen, die Engpässe zu überbrücken, die wir 2020 beobachtet haben. Diese Herangehensweise ist weit flexibler als herkömmliche Produktionsweisen, die per Definition einen höheren Logistik- und Transportaufwand bedeuten.
Der 3D-Druck bietet Vorteile, ist in vielen Branchen aber noch eine Randerscheinung. Welche Hürden halten den 3D-Druck im Bereich der personalisierten Medizin zurück?
Vincent Gardès: Mit Blick auf Präzision, Reproduzierbarkeit und Zeit war die Technologie vor zehn Jahren noch 'Work in Progress'. Heute ist die Ausgangslage eine andere. Unser Kumovis R1 ist zum Beispiel das erste offene Filament-System, das die Voraussetzungen und regulatorischen Anforderungen des Gesundheitswesens erfüllt und sogar übertrifft. Um die erfolgreiche Einführung solch neuer Herstellungstechnologie zu beschleunigen, sind interdisziplinäre Partnerschaften und Co-Kreation von entscheidender Bedeutung. Wir helfen unseren Kunden nicht nur mit der Materialauswahl und 3D-druckspezifischem Design, sondern auch dabei, den 3D-Druckprozess für die endgültige Anwendung produktionsfertig zu machen.
Große MedTech-Hersteller haben große Investitionen in Werkzeuge und Maschinen vorgenommen, womit erhöhter Abschreibungsbedarf einhergeht. Dazu bieten wir eine sehr intelligente Alternative, zunächst als Ergänzung zu den traditionellen Fertigungstechniken. Die Akzeptanz ist da, und dies ist erst der Anfang.
Gibt es Ihrer Meinung nach ein Einsatzgebiet, in dem der 3D-Druck in den kommenden Jahren herkömmliche Verfahren verdrängen wird?
Vincent Gardès:Orthopädie und Zahnimplantologie sind schon jetzt gute Beispiele dafür, dass anatomische und patientenspezifische Implantate entscheidend sein können für bessere klinische Resultate. Unsere Fähigkeit bei Kumovis, verschiedene Polymere – von Hochleistungspolymeren wie PEEK bis hin zu resorbierbaren Polymeren – mittels additiver Fertigungstechnologie verarbeiten zu können, erweitert die möglichen Anwendungsgebiete.
In Zukunft könnte das so aussehen: Ein Patient wird ins Krankenhaus eingeliefert und untersucht. Dabei wird eine MRT oder CT durchgeführt. Entsprechend der gesammelten Daten wird ein maßgeschneidertes chirurgisch einsetzbares Implantat designt, welches der einzigartigen Anatomie des Patienten entspricht. Innerhalb weniger Tage wird das Implantat 3D-gedruckt und kurze Zeit später der Chirurgie zur Verfügung gestellt. Im Vergleich zum heute üblichen Vorgehen ist das ein großer Fortschritt.
Wir haben den Eindruck, dass 3D-Innovationen im Bereich der Medizintechnik vor allem von Start-ups kommen. Verschlafen die etablierten Platzhirsche hier die Entwicklung?
Vincent Gardès: Leider ist dies der Fall, zumindest teilweise. In der Medizintechnik, zum Beispiel bei Implantaten, beobachten wir dieses Verhaltensmuster. Die meisten Innovationen der vergangenen 20 Jahre stammen von Start-ups, bei denen Ingenieure und Mediziner typischerweise sehr eng in kurzen und agilen Entwicklungsschleifen zusammenarbeiten.
Große Unternehmen kämpfen mit den üblichen internen Herausforderungen, darunter mehr Prozesse, Beschränkungen und die Unternehmenspolitik. Sie alle bremsen das Innovationspotenzial. Der Fokus liegt stattdessen eher auf Finanzkennzahlen. Darüber hinaus kommt es vor, dass große Unternehmen es bevorzugen, einem Start-up die Arbeit an der Innovation zu überlassen und diese – sobald sie klinisch erprobt ist und Anwendung findet – schließlich zu übernehmen.
Sie waren schon bei einigen Größen der Medizintechnik und nun sind Sie Beiratsvorsitzender bei einem Start-up. Wie fühlt es sich denn an, mit einem so jungen Unternehmen zu arbeiten?
Vincent Gardès: In der Tat habe ich 15 Jahre bei großen US-MedTech-Unternehmen verbracht. In jüngerer Zeit war ich CEO eines kleinen Unternehmens, das sich auf das Anwendungsfeld der Wirbelsäule konzentriert.
Ich kann also sagen, dass ich beide Arbeitsumgebungen kenne. Es ist sehr aufregend und herausfordernd zugleich, mit einer so klugen und talentierten Gruppe von Ingenieuren und Managern bei Kumovis zusammenzuarbeiten. Ich fühle mich bereits wie der ältere Bruder. Mich beeindruckt die Technologie, die Leidenschaft und der Elan. Die Zeichen stehen auf Erfolg. Das Unternehmen hat viele großartige Geschäftsmöglichkeiten – am schwierigsten wird es sein, die besten auszuwählen, sich auf sie zu konzentrieren und sie zu nutzen.
Zu Ihrem Einstand bei Kumovis haben Sie gesagt, dass „sich der Markt weiterhin in die richtige Richtung entwickelt“. Was meinen Sie damit?
Vincent Gardès: Die Technologie ist jetzt einsatzbereit, es besteht großer medizinischer Bedarf, und wir bieten allen Beteiligten offensichtliche Vorteile. Es besteht kein Zweifel, dass Lösungen wie unsere in den nächsten zehn Jahren neue Maßstäbe setzen werden, um viele Patienten besser, schneller und sicherer zu behandeln.
Wie sehen sie die Marktentwicklungen in der Corona-Krise. Glauben Sie, dass AM durch die Pandemie in der Medtechbranche gepusht wird oder fehlt es an Investitionsbereitschaft?
Vincent Gardès: Es gibt bereits jetzt eine starke Dynamik, und die Akzeptanz ist vorhanden. Große Unternehmen werden bald erkennen, dass additive Fertigung eine großartige Alternative zu ihren konventionellen Herstellungsverfahren ist. Krankenhäuser werden schnelle 3D-Drucker benötigen, die nach individuellem Bedarf vor Ort produzieren.
Wir werden außerdem in der Lage sein, neue Werkstoffe mithilfe additiver Fertigungstechnologien zu verarbeiten und somit Ärzten und Patienten noch mehr Möglichkeiten bieten können. Und bei Kumovis bin ich mir sicher, dass das Unternehmen ein Wegbereiter und noch erfolgreicher sein wird.
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