Wer erfand eigentlich das Internet der Dinge? Kurt Steinbuch - ein IT-Visionär feiert Geburtstag
Karl Steinbuch gilt als Mitbegründer der Informatik. 2017 wäre der Visionär des digitalen Zeitalters 100 Jahre alt geworden. Vor fast 60 Jahren wurde er Professor in Karlsruhe, wo sich früh mit künstlicher Intelligenz sowie dem Konzept einer Vernetzung von Computern und Gegenständen befasste.
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Eines vorab: Karl Steinbuch war weder Informatiker noch Computerexperte. Denn als der studierte Physiker im Frühjahr 1958 seine Professor an der damaligen Technischen Hochschule in Karlsruhe antrat, gab es dort nicht einmal einen Computer. Dass sich in dieser Bildungs- und Forschungseinrichtung einmal eine ganze Fakultät der automatischen Informationsverarbeitung widmen würde, ahnte damals wohl nicht einmal der eigentlich schon immer sehr weitblickende Steinbuch.
Steinbuch hielt über 70 IT-Patente
Bei einer Kommunikationstechnik-Firma in seiner Heimatstadt Stuttgart hatte er zuvor zwar schon ein sogenanntes „Informatik-System“ entwickelt. Dieser erste deutsche mit Halbleitertechnik Rechner kam im Vertrieb des heute nicht mehr existierenden Fürther Versandhauses Quelle zum Einsatz, das mit seinem Vertriebskonzept weiland den B2C-Markt "aufmischte". Von der freien Programmierbarkeit war Steinbuchs "Computer" aber noch weit entfernt. Als dann eine Dekade später ein deutscher Name für die Computerwissenschaften gesucht wurde, setzte sich der von Steinbuch geprägte Begriff „Informatik“ durch.
Der rührige Professor entwickelte über siebzig informationstechnische Technologien, die patentiert wurden. Eines davon war die Lernmatrix, ein elektronisches System, das sich Buchstaben und andere Muster zur Wiedererkennung merken konnte - ein Vorläufer künstlicher Intelligenz und konzeptionelle Keimzelle der sogenannten lernenden Maschine.
Mitte der 1960er Jahre zeigte Steinbuch, dass die Speicherkapazität von Rechnern im Laufe der Jahre exponentiell zunahm und äußerte die Vermutung, dass dies auch in Zukunft so weitergehen würde: ein Jahr vor der Veröffentlichung des berühmten Mooreschen Gesetzes! Steinbuch entwickelte außerdem das Konzept der Informationsgesellschaft – ein Begriff, den es ebenfalls vorher nicht gab.
Informationsbanken und erste Visionen vom IoT
In seinem Aufsehen erregenden Buch „Die Informierte Gesellschaft“ entwarf er „Informationsbanken“, die heutigen Internet-Suchmaschinen ähneln. Kaum weniger zukunftsweisend waren seine Ideen zur Vernetzung von Computern untereinander und mit Gegenständen, die heute mit dem Internet of Things und Industrie 4.0 dabei sind, Wirklichkeit zu werden.
Spätestens mit seinem Bestseller „Falsch programmiert“ von 1968, in dem er den Technikunwillen von Politik und Gesellschaft anprangerte, wurde Karl Steinbuch zum bekanntesten deutschen IT-Experten. „Dass unser Institut international eine führende Rolle einnimmt, ist auch ihm zu verdanken“, sagt Prof. Jürgen Becker, Leiter des Instituts für Technik der Informationsverarbeitung (ITIV), das Steinbuch 22 Jahre leitete. Auch betrieb Steinbuch Zukunftsforschung. Mit seiner Forschungsgruppe für technische Prognosen bereitete er den Boden für das am KIT bestehende Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS).
Als 1969 an der Universität Karlsruhe (TH), einem Vorläufer des KIT, das in Deutschland erste Institut für Informatik gegründet wurde (1972 folgte eine ganze Fakultät), wurde Steinbuch nicht Mitglied. Die Wissenschaft, deren Namen er mitprägte, entwickelte sich an den deutschen Hochschulen mit einem deutlichen Schwerpunkt bei der Software, während Physiker Steinbuch eher für die Hardwareseite stand. Daneben gab es aber auch persönliche Gründe. „Steinbuch formulierte oft außergewöhnlich direkt; Diplomatie war nicht seine Stärke“, weiß Dr. Klaus Nippert, Archivar des KIT.
Ein "Sozial-Technokrat" auf politischen Abwegen
Nach der Bundestagswahl 1969 wurde Steinbuch – damals der SPD nahe stehend – als Kandidat für das Ressort Bildung und Wissenschaft im Kabinett des Bundeskanzlers Willy Brandt gehandelt, denn seine Thesen fanden Zustimmung in einem breiten politischen Spektrum. Steinbuchs heute eher fremd erscheinendes Verständnis von Politik als „zentraler Steuerung“ mit technokratischen und entschieden industrieorientierten Zügen bewegte sich laut Nippert in damals durchaus üblichen Denkmustern. „Von partizipativen Strukturen und den Reformprogrammen der 1960er Jahre hat Steinbuch nicht viel gehalten“, so Nippert weiter. „Auch die Idee des Naturschutzes, aus heutiger Sicht ein hohes Gut, war für ihn, wie für viele damals, ein Bremser der wirtschaftlichen Entwicklung.“
In seinen Ansichten rückte Steinbuch nach und nach von der politischen Mitte ab. Nach seiner Emeritierung wendete sich Steinbuch zunehmend der rechten Seite des politischen Spektrums zu und veröffentlichte in hohem Alter regelmäßig Artikel in NPD-nahen Zeitschriften.
KIT-Rechenzentrum heißt "Steinbuch Centre for Computing"
„Wir teilen die politischen Ansichten, die Steinbuch in hohem Alter vertrat, nicht. Das beeinträchtigt aber nicht unsere Anerkennung und unseren Dank für die Lebensleistung von Karl Steinbuch als herausragenden Vordenker unserer heutigen Informationsgesellschaft“, sagt der Präsident des KIT, Holger Hanselka.
Zu Steinbuchs wissenschaftlichem Wirken nach seiner Emeritierung zählte die Leitung der Forschungskommission Baden-Württemberg 1982, die Grundsätze für die Entwicklung des Bundeslandes im High-Tech-Zeitalter erarbeitete. Karl Steinbuch starb 2005 in seinem Haus in Ettlingen. 2008 erhielt das Rechenzentrum des KIT den Namen Steinbuch Centre for Computing. Dem 100. Geburtstag von Karl Steinbuch gedachte das KIT am 13. Oktober 2017 auf einer Veranstaltung, bei der auch prominente Alumni des ITIV wie der IT-Unternehmer Hasso Plattner als Festredner anwesend sind.
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