Expertenbeitrag

Dr. Christoph Schlünken

Dr. Christoph Schlünken

Mitglied des Vorstands ALTANA AG, ALTANA AG

Nachwuchsförderung Keine Industrie 4.0 ohne MINT

Von Dr. Christoph Schlünken

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Warum die Absolventen der naturwissenschaftlich-technischen Fächer über den Erfolg der Digitalisierung in Deutschland und somit auch von Industrie 4.0 entscheiden.

Eine Fokussierung auf die MINT-Disziplinen ist in Deutschland zwingend erforderlich, wenn wir die Digitalisierung von Industrie und Gesellschaft proaktiv anstelle von reaktiv gestalten wollen.
Eine Fokussierung auf die MINT-Disziplinen ist in Deutschland zwingend erforderlich, wenn wir die Digitalisierung von Industrie und Gesellschaft proaktiv anstelle von reaktiv gestalten wollen.
(Bild: gemeinfrei / Unsplash)

Einmal kräftig durchatmen – trotz oder gerade wegen der Covid-19-Pandemie. Denn das braucht es, wenn wir die größten Herausforderungen Deutschlands anpacken wollen. Denn diese sind ja nicht verschwunden, sondern durch die Pandemie entweder aus dem Blick geraten oder aber brennpunktartig sichtbar geworden.

Eine dieser Mammutaufgaben ist die Digitalisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Industrie – nach rund eineinhalb Jahren Covid-19 dürfte das auch dem schärfsten Digitalskeptiker bewusst geworden sein. So weit, so gut.

Nicht bewusst ist vielen, dass Deutschland mit seiner traditionellen Stärke im Bereich der Forschung und Entwicklung, einem soliden Bildungs- und teilweise hervorragenden Hochschulwesen für die wohl größte Disruption unserer Zeit eigentlich gut gerüstet wäre. Mehr noch: Wir sind an einer neuralgischen Schnittstelle bestens vorbereitet – mit unseren Fachkräften aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.

Die Bedeutung der Naturwissenschaften

MINT-Berufe seien für die Lösung der großen Zukunftsfragen entscheidend – ob bei der Gestaltung der Klimawende oder eben der Digitalisierung: So jedenfalls das Fazit des diesjährigen MINT-Frühjahrsreports, den das Institut der deutschen Wirtschaft unter anderem im Auftrag des BDA, BDI und des Nationalen MINT-Forums zweimal jährlich erstellt.

Nun ist Deutschland seit langem MINT-Champion unter den OECD-Staaten: Rund 35 Prozent unserer Universitäts- und Fachhochschulabsolventinnen und -absolventen haben einen Abschluss in MINT-Fächern – im OECD-Schnitt sind es nur 23 Prozent. Dieses Gold glänzt so sehr, dass man sich die Rückseite der Medaille gar nicht anschauen möchte. Dort zeigt sich nämlich, vor welchem durchaus bedrohlichen Dilemma das Land steht: Wir haben einfach viel zu wenige MINT-Fachkräfte, heute und wohl auch in Zukunft. Denn strukturelle Effekte, so die Autoren der Studie, werden den Bedarf in den kommenden Jahren stark erhöhen, während durch die Pandemie ein Rückgang des MINT-Nachwuchses zu verzeichnen sei.

Bedarf an MINT-Fachkräften steigt

Die weiteren Aussichten? Der Ersatzbedarf bei MINT-Akademikern steigt in den kommenden zehn Jahren jährlich um gut 26.000 an – gleichzeitig sinkt die Zahl ausländischer Studierender hierzulande. Hinzu kommt die wachsende demografische Lücke bei den beruflich qualifizierten MINT-Facharbeitern, die in den nächsten Jahren verstärkt aus dem Berufsleben ausscheiden. Verschärfend wirkt sich aus, dass ein Großteil der Unternehmen für die Digitalisierung und die Entwicklung klimafreundlicher Technologien einen steigenden Bedarf an IT-Experten und sonstigen MINT-Fachkräften sieht.

Mit anderen Worten: An einer für unsere wirtschaftlich-gesellschaftliche Zukunft entscheidenden Schnittstelle sind wir schlecht vorbereitet und so sehr verwundbar. Wenn wir jetzt nicht nachhaltig gegensteuern, könnten wir den digitalen Anschluss verlieren.

Was also tun? Wir müssen handeln. Bisherige Anstrengungen, wie etwa die nationale MINT-Initiative „Zukunft schaffen“ oder der MINT-Aktionsplan der Bundesregierung, haben beachtliche Teilerfolge erzielt.

MINT-Förderprogramm sinnvoll

Doch das reicht nicht. Deshalb sollte die Bundesrepublik in einer konzertierten Aktion ein übergreifendes, nationales MINT-Förderprogramm auflegen – mit Fokus auf die Erfordernisse der Digitalisierung. Besonders wichtig ist zukünftig, dass politische Verantwortung für Bildung nicht länger verschoben, sondern hier kooperativ gedacht wird: zwischen Bund, Ländern und Kommunen, sowie ressortübergreifend auf Bundesebene.
Die Politik muss die enge Verbindung zwischen MINT-Berufen, Karriere, Potenzialen, zwischen Infrastruktur und Zukunft, von der Grundschule bis zum Spitzenlabor, viel besser darstellen und gestalten – mit Ideen, Inhalten und Geld. An den Schulen müssen die MINT-Fächer personell besser ausgestattet und für junge Lehrkräfte attraktiver werden – einen Lehrkräftemangel dürfen wir uns an dieser Stelle gewiss nicht leisten; Digitalkompetenz und IT müssen im Lehrplan verankert werden.

Ist das notwendig? Die Corona-Krise hat doch eine in der Bundesrepublik bislang einzigartige Modernisierungswelle ausgelöst?
Selbst wenn das so ist, wie lange trägt diese – vor allem mit Blick auf unsere defizitäre digitale Infrastruktur?

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Am Thema Homeoffice manifestiert sich doch unsere digitale Misere: Big Data und digitale Vernetzung, IT-Schnittstellen und Kollaborationstools, AI und maschinelles Lernen: Für eben diesen Kompetenzbedarf der Zukunft müssen wir die MINT-Fächer fit machen. Das passt nicht in den bisherigen Fächerkanon, denn die digitale Disruption schafft durch ungewöhnliche Fächerkombinationen neue Berufsbilder: Der so entstandene Ausbildungsberuf „Kaufmann/frau für Digitalisierungsmanagement“ in unserem Geschäftsbereich BYK ist hierfür ein Beispiel.
Schließlich sollten wir uns auch auf unser eigenes Potenzial konzentrieren: Noch immer liegt der Frauenanteil von Erstabsolventen in MINT-Fächern mit 31,9 Prozent (2019) unter der selbst gesteckten Zielmarke von 35 Prozent. Diesen Anteil oder mehr erreichen 19 OECD-Staaten, Deutschland liegt hier im hinteren Mittelfeld.
Ein solches Programm sollte außerdem die Zuwanderung aus dem Ausland mit Blick auf Nachwuchs- und Fachkräfte reformieren – mehr Fokus, mehr Tempo und mehr Flexibilität.

Oberste Priorität sollte also die MINT-(Aus)bildung haben. Doch das genügt nicht: Die nächste Bundesregierung sollte Spitzenleistungen durch weitere, innovative Finanzierungs- und Förderungsmodelle stärken, mehr in die Forschung investieren und zum Beispiel durch einen Ausbau der Forschungszulage kleinen und mittelständischen Unternehmen Anreize dazu geben, Businessmodelle mit kontinuierlicher Forschung zu entwickeln. Ferner müssen Unternehmen, F&E-Einrichtungen und Hochschulen noch enger miteinander vernetzt, die EU-weite Kooperation bei MINT-Fächern intensiviert werden.

Wir sollten auf MINT setzen: Wenn wir jetzt wenigstens einige dieser Initiativen erfolgreich angehen, dann haben wir morgen genug digitale Brain Power, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können.

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