Elektronische Textilien IT zum Anziehen: Färbe-Verfahren verleiht Textilien elektronische Eigenschaften
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Auch wenn sie noch nicht wirklich stark nachgefragt werden, ist es recht wahrscheinlich, dass E-Textilien, basierend auf elektrosensitiven Stoffen, in nicht all zu ferner Zukunft zum Alltag gehören. An der Universität des Saarlandes demonstrieren Forschende nun neuartige Nutzungsmöglichkeiten.

Ob im Fitnessbereich, in der Medizin oder in der Unterhaltungsbranche: Am Körper getragene IT-Geräte wie zum Beispiel Smartwatches werden immer beliebter. Anwendungen dieser Art profitieren davon, wenn sich das Eingabegerät möglichst natürlich an den Körper anpasst – etwa in Form von elektrosensitiven Stoffen, sogenannten E-Textilien. Informatiker der Universität des Saarlandes zeigen, wie man diese besonderen Textilien vergleichsweise unkompliziert herstellen kann und eröffnen damit neue Nutzungs-Szenarien.
"Unser Ziel war es, interaktive Funktionen direkt in die Fasern von Textilien zu integrieren, anstatt nur elektronische Komponenten daran zu befestigen“, sagt Jürgen Steimle, Informatik-Professor der Universität des Saarlandes. Mit seiner Forschungsgruppe zu Mensch-Computer-Interaktion am Saarland Informatics Campus erforscht er, wie Computer und deren Bedienung möglichst nahtlos in die physische Welt integriert werden können. Darunter fällt auch der Einsatz elektro-interaktiver Stoffe.
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Soft Robotik
Vom Tintenfisch inspiriert: Material heilt sekundenschnell
E-Textilien sollen angenehmer zu tragen werden
Bisherige Ansätze zur Herstellung dieser Textilien sind aufwändig und beeinflussen das Tragegefühl des Materials. Die Methode der Saarbrücker Informatiker erlaubt, Textilien und Kleidungsstücke auch nachträglich in E-Textilien umzuwandeln, ohne deren ursprünglichen Trage-Eigenschaften zu beeinflussen – sie bleiben dünn, dehnbar und anschmiegsam. Damit schaffen sie die Möglichkeit, schnell und vielseitig mit neuen Formen von E-Textilien zu experimentieren und diese in IT-Geräte zu integrieren.
„Gerade für am Körper getragene Geräte ist es wichtig, dass sie die Bewegung möglichst wenig einschränken und dennoch hochauflösend Eingabesignale verarbeiten können“, erklärt Paul Strohmeier, einer der Initiatoren des Projektes und Wissenschaftler in Steimles Forschungsgruppe. Um dies zu erreichen, nutzen die Forscher das Verfahren der In-Situ-Polymerisation. Die elektrischen Eigenschaften werden dabei in den Stoff „eingefärbt“: Ein Textil wird in einem Wasserbad einer chemischen Reaktion ausgesetzt, der sogenannten Polymerisation, wodurch es elektrisch leitfähig wird und empfindlich auf Druck und Dehnung reagiert, also sogenannte piezoresistive Eigenschaften erhält. Indem sie nur bestimmte Stellen eines Textils „einfärben“ oder einzelne Fäden polymerisieren, können die Saarbrücker Informatiker maßgeschneiderte E-Textilien produzieren.
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Sensorik
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In ihren Testläufen haben die Forscher so Handschuhe hergestellt, die Handbewegungen digital erfassen können, einen Reißverschluss, der je nach Öffnungsgrad verschiedene Spannungen überträgt, und Sport-Tapes, die sich zu einem am Körper befestigten Bedienelement verwandeln.
Auch andere Materialien als Textilien können mit dem Verfahren bearbeitet werden. Die Pariser Künstlerin Audrey Briot hat ein Abendkleid aus berührungsempfindlichen Federn hergestellt, die über einen Computer Töne erzeugen, wenn man sie anfasst. Die Federn hat sie nach der Methode der Saarbrücker Informatiker polymerisiert. Das Kleid wurde für den STARTS-Preis der Europäischen Kommission nominiert.
Eine wissenschaftliche Publikation zu dem Verfahren mit dem Titel PolySense: Augmenting Textiles with Electrical Functionality using In-Situ Polymerization entstand in der Forschungsgruppe zur Human-Computer-Interaction am Saarland Informatics Campus an der Universität des Saarlandes. Beteiligte Saar-Forscher waren: Prof. Dr. Jürgen Steimle, Dr. Paul Strohmeier, Dr. Marc Teyssier und Dr. Bruno Fruchard. Weiterhin beteiligt waren: Cedric Honnet (MIT Media Lab), Hannah Perner-Wilson (Kobakant) und Dr. Ana C. Baptista (CENIMAT/I3N, Neue Universität Lissabon). Der Fachaufsatz wurde 2020 im Rahmen der weltgrößten Konferenz des Forschungsbereiches, der ACM Conference on Computer Human Interaction (CHI), veröffentlicht. Die Originalpublikation kann online eingesehen werden.
* Friederike Meyer zu Tittingdorf arbeitet in der Pressestelle der Universität des Saarlandes.
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