Smart Factory Industrielle Anlagenüberwachung - wie schwer ist das wirklich?
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Ein guter Überblick über die Produktion und Maschinenparks spart langfristig Kosten ein und setzt Ressourcen für nützlichere Dinge frei. Doch wie realistisch ist das? Wie viel Aufwand muss betrieben werden, um eine digitale Transformation von Anlagen und Produktionen voranzutreiben?

Immer mehr Industrieunternehmen investieren in die Umsetzung von großen Digitalisierungsprojekten. Die IDC-Studie Industrial IoT in Deutschland 2021 zeigt, dass 40 Prozent der befragten Unternehmen wegen COVID-19 ihre Investitionen in das IIoT erhöhen wollen. Inwieweit diese Maßnahmen bereits in produktive Abläufe eingebunden sind, ist von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich. Eines ist klar – mit der Realisierung von solch komplexen Lösungen und den damit angestrebten automatisierten Prozessen, ist auch eine ungeheure Menge an Zeit, Aufwand und Geld verbunden. Und das können beziehungsweise wollen sich viele Industrieunternehmen, vor allem im deutschen Mittelstand, noch nicht leisten.
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Industrie der Zukunft
Lean-Prinzipien und vernetzte Industrie: Wertschöpfungspotenziale 4.0
Klein starten und das Feedback des technischen Fachpersonals einbeziehen
Dabei muss man nicht gleich nach den Sternen greifen und mit Hilfe von 5G, Blockchain, Künstlicher Intelligenz oder Machine Learning den nächsten Predictive-Maintenance-Use-Case umsetzen.
Um den ersten Schritt in Richtung Digitalisierung und Maschinenkonnektivität zu gehen, ist es wichtig, die Herausforderung in kleinen Schritten anzugehen. Ein konkretes, greifbares Problem beziehungsweise ein Use Case dient als Grundlage. Ein guter Anfang ist die Evaluierung von repetitiven, aufwändigen und manuellen Schritten in der Produktion. Ein anderer Fokus könnte beispielsweise die Berechnung von operativen KPIs wie Up-/Downtimes oder die Gesamtanlageneffektivität sein.
Anstatt mit einem Großprojekt zu starten, wird mit Hilfe eines Proof of Concepts (PoC) in Eigenregie oder mit einem Pilotkunden die Ausgangssituation evaluiert. In dieser Phase ist es besonders wichtig zu klären, welche Maschinentypen und Maschinenprotokolle involviert sind. Deshalb ist es ratsam, nicht nur IT-Experten, sondern vor allem auch technisches Fachpersonal hinzuzuziehen. Sie arbeiten täglich mit den Maschinen und wissen, welche Hürden es zu bewältigen gibt, um an die Daten zu gelangen. Schon in der PoC-Phase ist es ratsam, die Umsetzung nachhaltig und als Basis für eine mögliche Weiterentwicklung zu gestalten. Somit werden anfallende Kosten gleichzeitig in eine zukünftige produktive Lösung investiert.
Flexibler und erweiterbarer Ansatz
Glücklicherweise gibt es auf dem Markt zahlreiche Technologien und Lösungen, die dabei unterstützen Industrieanlagen zu verbinden. Ob kommerziell oder Open Source, die Auswahl ist groß.
Leider unterscheiden sich die Ausgangssituationen und Anforderungen der Unternehmen meist so sehr, dass es keinen Standardweg gibt. Allerdings gibt es essentielle Fragen, die sich Unternehmen vor der Umsetzung stellen sollten:
- Welche Maschinen sollen angebunden werden und wie viele Daten produziert eine Maschine?
- Um welche Maschinentypen beziehungsweise Maschinensteuerungen handelt es sich?
- Welche Daten werden benötigt, um den gewünschten Use Case, aber auch zukünftige Use Cases abzubilden?
- Muss neue Hardware installiert werden, um die Maschinen zu verbinden?
- Ist das Anbringen von zusätzlichen Sensoren an der Maschine erforderlich?
- Gab es im Vorfeld schon Initiativen im Unternehmen wo Maschinendaten ausgelesen wurden?
In erster Linie ist es wichtig, einen modularen und nachhaltigen Ansatz zu wählen. Das bedeutet beispielsweise eine Architektur zu entwickeln, die leicht anpassbar und erweiterbar ist. Zudem sollte berücksichtigt werden, ob eine Infrastruktur bereits zur Verfügung steht. Oft arbeiten Unternehmen auch in anderen Projekten mit Cloud-Plattformen oder es existieren eigene lokale Umgebungen, an die die Daten geschickt werden können.
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Das Internet of Things kommt an seine Grenzen
Klassische IoT-Lösungen konzentrieren sich vor allem auf die Registrierung, das Management und die Verbindung von IoT-Geräten an eine Plattform. Dabei steht die Datenübertragung im Vordergrund. Daten werden für gewöhnlich in dem Format übertragen, in dem sie von den Geräten gesammelt beziehungsweise erzeugt werden. Datenverarbeitung und -filterung finden erst auf den Plattformen statt.
Industrieanlagen generieren allerdings meist deutlich mehr Datenpunkte als herkömmliche IoT-Geräte. Das bedeutet hohe Kosten und hohe Latenzzeiten für die Datenübertragung. Speziell in der Fertigung müssen die Reaktionszeiten auf kritische Events minimal gehalten werden, wie beispielsweise bei der Überschreitung eines bestimmten Schwellenwerts. Solche Kalkulationen können nicht erst auf der IoT-Plattform stattfinden.
Schlüsseltechnologie Edge Computing
Edge Computing schließt diese Lücke. Edge Computing bedeutet, die Verarbeitung der Daten so nahe wie möglich zu dessen Erzeuger zu bringen. Im Beispiel einer Industrieanlage bedeutet das je nach Aufbau, direkt auf der Maschine, auf der Maschinensteuerung oder einem zusätzlichen Edge-Gerät beziehungsweise Industrie-PC, welcher sich mit der Maschine oder der Steuerung verbindet. Dadurch können große Teile der Datenverarbeitung von der Cloud direkt auf die Edge verlagert werden. In Verbindung mit vorhandenen IoT-Lösungen ist das die perfekte Kombination zur Realisierung von IIoT-Cases wie beispielsweise der Industrieanlagenüberwachung.
Auch für Edge Computing gibt es zahlreiche Lösungen auf dem Markt. Zum Großteil verfolgen diese einen modularen und containerbasierten Ansatz, der mittlerweile in der modernen Softwareentwicklung seinen festen Platz gefunden hat. Solch eine Microservice-Architektur hat den Vorteil sehr flexibel, anpassbar und erweiterbar zu sein. Genau das, was eine zukunftsweisende Implementierung voraussetzt. Auch der Übergang von der klassischen Backendentwicklung auf die Edge wird vereinfacht und beschleunigt, da Programmiersprachen und Frameworks wie gewohnt auf der Edge eingesetzt werden können.
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KI & Edge
Intelligent Edge – Technologie der Zukunft
Kommerziell oder Open Source
Die großen Cloudanbieter AWS und Microsoft Azure bieten ihren Kunden umfangreiche Edge-Runtimes (AWS Greengrass, Azure IoT Edge) an, die sich nahtlos in ihr bestehendes IoT-Ökosystem integrieren lassen. Sie bieten außerdem ihre bekannten Cloud-Services für Machine Learning und Datenverarbeitung zur direkten Ausführung auf der Edge an. Auch Industrieunternehmen wie Siemens, Bosch oder PTC bieten über ihre eigens entwickelten IoT-Plattformen Lösungen für Edge Computing an. Auch wenn diese Lösungen einen schnelleren Time-to-Market durch Plug & Play versprechen, sind sie sehr auf die Produktpalette der Anbieter konzentriert. Bei der Umsetzung komplexerer Szenarien, in denen unterschiedliche Maschinentypen oder -steuerungen im Einsatz sind, kann sich solch eine Lösung als eher unflexibel erweisen. Generell sollte vor der Auswahl des Anbieters die Ausgangssituation ganzheitlich analysiert werden: Dabei sollte vor allem die Erweiterbarkeit und Flexibilität für die zukünftige Entwicklung der Lösung im Vordergrund stehen.
Die Open-Source-Community liefert umfangreiche Alternativen: Unter anderem gibt es die populäre Containerorchestrierungssoftware Kubernetes (Kube Edge, k3s) auch für die Edge. Zudem existieren Projekte wie beispielsweise Edge X Foundry, die bereits seit Jahren erfolgreich Software und Standardisierung für die Edge bereitstellen. Auch die Runtime von Microsoft Azure, IoT Edge, ist als Open-Source-Software verfügbar. Die größten Vorteile der Open-Source-Technologien sind – neben den nicht anfallenden Lizenzkosten und der geringeren Bindung an einen Cloudanbieter – die Anpassbarkeit sowie das Konzipieren perfekt zugeschnittener Lösungen.
Kommerzielle Lösungen versprechen eine kürzere Time-to-Market durch bestehende Bausteine, die sofort eingesetzt werden können. Eine hohe Flexibilität bieten Open Source-Lösungen. Diese haben jedoch oftmals einen höheren Implementierungsaufwand. Dafür ist die Gefahr geringer, eine Abhängigkeit zu einem Cloudanbieter zu schaffen, die bei einem Wechsel der darunterliegenden Infrastruktur zum Problem werden könnte.
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Interview mit Mike Milinkovich, Executive Director Eclipse Foundation
Die Zukunft ist offen - so wie ihr Quellcode
Fazit
Das Internet of Things in Kombination mit Edge Computing hilft Industrieunternehmen dabei, einen grundlegenden und nachhaltigen Schritt in Richtung Anlagenüberwachung zu gehen. Auch wenn Unternehmen am Anfang stehen, helfen diese Technologien, dem Ziel der Maschinenkonnektivität näher zu kommen und minimieren die Zeit sowie Kosten bis zur Realisierung.
Jedes Unternehmen sollte im Vorfeld unbedingt genug Zeit investieren, um sich darüber klar zu werden, welche Probleme es mit solch einer Digitalisierungsinitiative lösen möchte. Ein Pilotprojekt oder -kunde kann dabei hilfreich sein.
Eine wahllose Anbindung von Maschinen ohne Strategie endet in den seltensten Fällen in einer nachhaltigen Lösung, sondern oft in teuren, unbrauchbaren Ergebnissen. Um dieser Frustration aus dem Weg zu gehen, sollte man nicht nur zusammen mit der IT-Abteilung, sondern vor allem mit den Maschinenbedienern und -Technikern arbeiten.
Ob man sich für eine kommerzielle oder Open Source-Lösung entscheidet, hängt von der Ausgangssituation, Strategie und Expertise des Unternehmens ab. Eine flexible Lösung bringt ein höheres initiales Investment mit sich – kann sich jedoch zu einem späteren Zeitpunkt als strategisch hilfreich erweisen, da auch individuelle Anpassungen und Erweiterungen einfacher implementiert werden können.
* Vincent Ohana arbeitet als Partner bei Concept Reply. Nico Boh ist als Senior Consultant bei Concept Reply tätig.
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