AWF-Modell Industrie 4.0 - In 4 Schritten zur Handlungsstrategie
Industrie 4.0 ist mittlerweile ein gängiger Begriff. Dass darunter aber nicht nur die fortschreitende Automatisierung verstanden werden darf, stellt der AWF-Arbeitskreis in einem Konzept zur Umsetzung vor.
Anbieter zum Thema

Spätestens seit der CEBIT 2015 ist der Bekanntheitsgrad von Industrie 4.0 als der 4ten industriellen Revolution in Deutschland groß. Oft wird darunter aber nur die nächste Stufe der Automatisierung in der Fabrik verstanden. Besser gerecht wird man dem Thema, wenn man unter Industrie 4.0 den Einzug des Internets in die Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle und die damit einhergehende Digitalisierung versteht. Untersuchungen zeigen, dass der Bekanntheitsgrad von Industrie 4.0 zwar hoch ist, aber die Umsetzung von Elementen zu Industrie 4.0 besonders im Mittelstand sehr zögerlich verläuft. Ein Konzept zur Vorgehensweise fehlt.
Der Arbeitskreis Industrie 4.0 im AWF-Ausschuss für Wirtschaftliche Fertigung – widmet sich mit seinen Teilnehmern den verschiedensten Fragestellungen zum Komplex Industrie 4.0. Die ca. 20 Arbeitskreis-Mitglieder aus bekannten deutschen Unternehmen[1] kommen 4 Mal jährlich bei den Teilnehmer-Unternehmen zusammen und bearbeiten Themenstellungen zu Industrie 4.0. Beim einem dieser Arbeitskreis-Treffen stand die Entwicklung einer Vorgehensweise im Mittelpunkt (vgl. Abb. 1).

Im Folgenden soll das AWF-Modell näher erläutert werden.
1. Ermittlung des Ist-Zustands
Das Modell sieht vor, dass zunächst der Ausgangszustand im Hinblick auf Industrie 4.0/ Digitalisierung im Unternehmen ermittelt wird. Als geeignetes Tool dazu wird ein Reifegradmodell verwendet, das auf dem Produkt- und Produktions-zentrierten Werkzeugkasten Industrie 4.0 des VDMA[1] basiert. Dieses wurde an der Technischen Hochschule Mittelhessen um die Aspekte Organisation und Mitarbeiter erweitert. Zu jedem Aspekt gibt es mehrere besonders relevante Merkmale, z.B. die Abwicklung von Kundenaufträgen. Diese können in unterschiedlichen Ausprägungsstufen vorliegen. Der Grad der Digitalisierung resp. Industrie 4.0 steigt von links nach rechts an. Ein Ausschnitt aus dem Reifegradmodell wird in Abb. 2 wiedergegeben. Wichtig ist aber der Hinweis, dass nicht zwangsweise als Zielsetzung das Erreichen der höchsten Ausprägungsstufe sinnvoll ist.

Die Ermittlung des Ist-Zustands kann dabei beliebig detailliert werden. Das Reifegradmodell lässt sich für Produktbereiche, für Produktlinien, oder auch auf unterschiedliche Sparten oder Bereiche eines Unternehmens anwenden. Auf die inhaltliche Ausgestaltung des Reifegradmodells soll hier nicht weiter eingegangen werden. Das Reifegradmodell wurde im AWF-Arbeitskreis mehrfach erfolgreich eingesetzt, und hat nach Aussagen der Mitglieder eine sehr gute Ordnungsstruktur in das komplexe Thema Industrie 4.0 gebracht.
Um die vorhandene Ausprägung eines Merkmals festzustellen, sind entsprechende Checklisten als Arbeitshilfen abzuleiten. Sie sollen Antwort geben, wie ein Vorgang läuft, welche Hilfsmittel verwendet werden, welche Fehler im Ausgangszustand zu bemängeln sind, welche Standards verwendet werden etc. Um die notwendige neutrale Sicht bei der Ermittlung des Ist-Zustands zu behalten, sieht das AWF-Modell vor, dass ein neutraler Auditor, gerne auch ein Externer, zu Rate gezogen wird. Die Ermittlung des Ist-Zustands setzt ebenso voraus, dass ein Verantwortlicher der zu betrachtenden Organisationseinheit zur Verfügung steht. Wichtig ist ein unkomplizierter Zugriff auf weitere Experten des jeweiligen Unternehmensbereichs.
2. Bestimmung relevanter Handlungsfelder
Welche Ausprägung im Reifegradmodell ist aber für die Zukunft des Unternehmens sinnvoll? Das AWF-Modell sieht dazu vor, dass die Megatrends, die auf das Unternehmen wirken, analysiert werden. Solche Megatrends können z. B. der sich aufgrund der Demografie abzeichnende Fachkräfte-Mangel sein, Veränderungen in Energiepreisen, Paradigmen-Wandel bei den Kunden, etc. Basierend auf dieser Analyse können anhand der Checkliste potentielle Handlungsfelder identifiziert werden. Die Detaillierungsebene ist wieder unternehmensindividuell festzulegen. So können bestimmte Geschäftsfelder, Produkte oder Produktgruppen, aber auch Leistungen des Unternehmens differenziert betrachtet werden.
3. Definition Soll-Zustand (s. Abb. 3)
Industrie 4.0 darf bei den Unternehmen kein Selbstzweck sein. Vielmehr muss der Soll-Zustand im Einklang mit der Unternehmensstrategie stehen. Auch kann mit Industrie 4.0/ Digitalisierung vieles gemacht werden. Doch im Vordergrund muss die Relevanz für das Unternehmen stehen. Dazu sind die Kosten, der Nutzen, notwendige Ressourcen, aber auch die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens zu beachten. Besonders Prozesse, die fehlerhaft ablaufen, sehr personalintensiv sind, also sogenannte Pain Points, sind dabei zu beachten. Das AWF-Modell sieht vor, dass der Soll-Zustand in Workshops mit Vertretern des Unternehmens festgelegt wird. Es ist zu überlegen, ob das Einschalten eines Beraters notwendige Impulse geben kann.

4. Entwicklung Digitalisierungs-Strategie
Aus dem Soll-Zustand gemäß des Reifegradmodells wird schließlich die Digitalisierungs-Strategie abgeleitet. Anhand der Bewertungen von Kosten/Nutzen, Dringlichkeit oder anderen Kriterien, lässt sich eine Reihenfolge von Projekten ableiten. Diese bilden dann die Roadmap für das Unternehmen.
[1] AWF-Arbeitskreis Industrie 4.0: Siemens AG, Wolf, Arconic, Hekatron, Rittal, Biotronik, CE-SYS Vision, E.G.O., Hottinger Baldwin, Bender, IPOL, Elabo, sense-IT, Braas Monier, IFESCA, Carl Geringhoff, incovia, Technische Hochschule Mittelhessen
[2] VDMA Leitfaden Industrie 4.0, 2015, S. 11-16