Use-Case Individuelle Brillengestelle werden in großen Stückzahlen 3D-gedruckt

Redakteur: Stefan Guggenberger

Der Brillenhersteller Bragi macht Schluss mit Einheitsgrößen und setzt auf 3D-gedruckte Brillen. Innerhalb weniger Monate hat das Unternehmen bereits 30.000 Stück gedruckt. Davon sollen sowohl die Kunden als auch der Hersteller profitieren.

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Bei Konsumartikeln muss die additive Fertigung noch Pionierarbeit leisten. Mit den 3D-gedruckten Brillen verdeutlicht Bragi die Vorteile der Technologie und setzt diese ökonomisch um.
Bei Konsumartikeln muss die additive Fertigung noch Pionierarbeit leisten. Mit den 3D-gedruckten Brillen verdeutlicht Bragi die Vorteile der Technologie und setzt diese ökonomisch um.
(Bild: Bragi)

Wohl jeder Brillenträger kennt die Situation: Trotz Anpassung zwickt und zwackt das Gestell ab und zu; bisweilen passt es sogar schlicht nicht, um optimale Seh-Unterstützung zu gewährleisten. Ein oder mehrere Gänge zum Optiker sind noch die bestmögliche Folge, der Kauf einer neuen Brille die teuerste. Abhilfe kann die additive Fertigung von Brillengestellen schaffen: Das chinesische Unternehmen Nanjing Bragi Optical Technology Co., Ltd. hat genau das als Geschäftsmodell gewählt – und setzt dabei sowie bei seinen weiteren Wachstumsplänen auf die 3D-Drucktechnologie von Eos.

Einheitsgrößen passen nicht zu allen Brillenträgern

‚One Size Fits All‘ – eine schöne Idee, die jedoch allzu oft nicht umsetzbar ist. Das trifft unter anderem auf im althergebrachten Spritzguss- oder Schneidverfahren gefertigte Acetat-Brillen zu – die einzelnen Gesichtsformen mit ihren entscheidenden Nuancen sind einfach zu unterschiedlich. Die Probleme reichen teilweise sogar so weit, dass die Linsen nicht den richtigen Abstand zum Auge haben oder nicht auf der richtigen Höhe in Relation zu den Pupillen sitzen. Auch für Nicht-Brillenträger kann die Problematik einfach illustriert werden: Man denke an ein Auto, bei dem sich weder Sitz noch Pedale noch Spiegel richtig einstellen lassen. Die Lösung ist entsprechend naheliegend: Wenn sich eine Brille nicht gut anpassen lässt, muss sie eben von Anfang an perfekt sitzen. Damit das möglich ist, braucht es eine individuelle sowie passgenaue Fertigung.

„Wir kennen das Konzept der individualisierten Fertigung bereits von zahlreichen Anwendungen, etwa aus dem medizinischen Bereich. Prothesen oder Implantate sind schließlich auch auf den jeweiligen Patienten abgestimmt“, erklärt Gong Xinyi, Designer bei Bragi. „Warum sollte dieses Konzept also nicht im Bereich der Optik funktionieren?“ Mit Selektivem Laser Sintern (SLS) von Kunststoff ist ein passendes Verfahren gefunden: Schicht für Schicht baut ein Laser ein Werkstück auf – ideal bei hohem Individualisierungsgrad ohne Mehrkosten. Hierbei werden ein industrieller 3D-Drucker und die entsprechenden 3D-Computerdaten benötigt. Aus ihnen lässt sich relativ leicht und schnell jedes beliebige Bauteil herstellen. Das gilt auch für Brillengestelle, die feingliedrig sind, aber gleichzeitig robust und passgenau sein müssen.

Jedes Modell wird individuell gefertigt

Die von Bragi gefundene Lösung berücksichtigt genau diese Punkte: Die Daten über die Kopfform werden über einen 3D-Scan erfasst. Dazu müssen Interessenten lediglich einen als Partner gelisteten Optiker aufsuchen. Dieser nimmt innerhalb weniger Minuten mehrere Fotos vom Kopf mit einer Kamera auf, die auf einem Tablet montiert ist. Die künftige Brille kann auf diese Weise auch gleich mittels einer virtuellen Darstellung auf ihr Gefallen hin überprüft werden. Ebenso lässt sich schnell der individuelle Look anderer Designs überprüfen. Denn darin liegt der Charme des Geschäftsmodells: Das Gestell wird individuell für seine Trägerin oder seinen Träger gefertigt – dabei dient eines von 70 Modellen aus sieben Serien stets als Basis.

Vor dem 3D-Druck wird die Kopfform des Trägers per 3D-Scan erfasst. In Zukunft soll der Scan auch von den Kunden zu Hause erstellt werden können.
Vor dem 3D-Druck wird die Kopfform des Trägers per 3D-Scan erfasst. In Zukunft soll der Scan auch von den Kunden zu Hause erstellt werden können.
(Bild: Bragi)

Das Angebot reicht von Erwachsenenbrillen über Kinderbrillen bis hin zu Sonnenbrillen mit Sehstärke. Das Gestell wird immer aus weißen Nylon gefertigt und erhält anschließend im sogenannten Post-Processing sein Finish, samt einer der zur Auswahl stehenden 14 Farben. Denn für die Kolorierung ist eine reinweiße und gut nachbehandelbare Oberfläche besonders geeignet. Für den Herstellungsprozess verwendet Bragi Eos-Systeme der Serie Formiga P 110 Velocis und das PA 2200 Material. „Wir haben die Technologien verschiedener Anbieter aus aller Welt intensiv verglichen“, erläutert Designer Xinyi. „Das Eos-System ist anderen Herstellern bei Bauteilqualität und Oberflächengüte überlegen. Die Passung zwischen Gestell zu Bügel ist bei jedem Bauauftrag hervorragend und der technologiebedingte Treppeneffekt so gut wie nicht vorhanden. Außerdem erlaubt das Material jede Form der Nachbearbeitung samt Färbung. Dafür ist auch sehr wichtig, wie rein das Weiß der Bauteile ist, hier ist das Eos-System ebenfalls an der Spitze.“

Komplettlösung aus dem 3D-Drucker ist gut für das Geschäft

Somit hat Bragi in kurzer Zeit ein Geschäftsmodell etabliert, das die schnelle und einfache Fertigung individueller Brillengestelle mittels SLS-Technologie als komplette Scan-to-Print-Lösung ermöglicht. Davon profitieren insbesondere Brillenträger, die aufgrund der Form ihrer Nasen Probleme mit Standard-Gestellformen haben. Zudem sollen die Brillen robust sein und eine lange Lebensdauer sowie anti-allergene Eigenschaften aufweisen.

Das Geschäftsmodell ist schlank und ermöglicht so erst den hohen Grad an Individualität: Im Spritzguss- oder Schneidverfahren beträgt die Mindestabnahmemenge für ein Gestell etwa 500 Stück – im Gegensatz zur maßgeschneiderten additiv einzelgefertigten Brille. Als modeorientierte Branche lassen sich so natürlich auch zügig neue Designs entwickeln und umsetzen, wie Gong Xinyi unterstreicht: „Mit den Prototypen aufhören und mit der Produktion beginnen. 3D-Druck ist revolutionär für die Optik-Branche.“ In wenigen Monaten hat Bragi so bereits über 30.000 Brillen hergestellt und mit kurzer Lieferzeit an die Kunden übergeben. Für den Hersteller selbst bedeutet das eine positive Geschäftsentwicklung: Das Unternehmen mit Heimat in China hat seine Geschäftstätigkeiten nach Korea, Japan, Indonesien, Singapur, Thailand und Malaysia ausgedehnt; auch Anfragen aus Europa gibt es bereits.

In Planung ist zudem ein Scan direkt zu Hause, was den Brillenkauf für den Kunden noch bequemer machen soll. Zusätzlich würde eine so vereinfachte Lieferkette die Marge steigern. Dadurch würde sich die additive Fertigung nochmals direkt positiv auf das Geschäftsmodell auswirken. Die mögliche Umsetzung ohne zusätzliche Point of Sales und ohne Lager ist in diesem Szenario ebenfalls ein Pluspunkt für Bragi. So profitieren immer mehr Brillenträger von den Vorteilen eines maßgeschneiderten Gestells.

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