Interview Hannes Robier, Youspi/Vice-President UXPA Austria „Heute kann man niemandem mehr weismachen, dass ein Screen mit 100 Funktionalitäten total einfach ist“
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Ist industrielle UX wichtig oder doch nur Spielerei? Vor welchen Herausforderungen steht das Feld und warum? Hannes Robier, Vizepräsident der UXPA Austria, beleuchtet im Interview den Einfluss von Digitalisierung und Fachkräftemangel und analysiert den Status quo.

Die digitale Transformation und der Fachkräftemangel sind zwei der bekanntesten Schlagworte, wenn es um industrielle Herausforderungen geht. Dass beide auch das Themenfeld User Experience und Usability tangieren, ist vielerorts noch weniger bekannt. Wir durften Hannes Robier ein paar Fragen rund um industrielle UX stellen
Hannes, vielerorts hört und liest man aktuell, dass UX und Usability auch im Industrieumfeld immer wichtiger werden. Stimmst du dem zu, oder wird die Relevanz überbetont?
Dem kann ich hundertprozentig zustimmen. Und das hat viele unterschiedliche Gründe.
Allem voran sind es Menschen, die beispielsweise die Steuerungen und Softwareprodukte in der Industrie bedienen. Diese haben im privaten Umfeld oft natürlich Smartphones auf dem neuesten technischen Stand. Das beeinflusst beziehungsweise überträgt die Erwartungshaltung auch auf Produkte und Bedienelemente in der Industrie. Erwartungsmanagement in der UX ist daher eines der größten Themen, egal wo wir ansetzten.
Gibt es weitere Gründe?
Ja, die gibt es. Aufgrund des Fachkräftemangels kommt auch in der Produktion immer öfter ungeschultes Personal zum Einsatz. Und ungeschult zu sein, heißt, die Bedienung muss so einfach und fehlerresistent wie möglich sein.
User Experience und Usability werden auch immer mehr zum Qualitätsstandard in allen Industrien. Heute kann man niemandem mehr weismachen, dass ein Bildschirmfenster mit 100 Funktionalitäten total einfach ist, da wir alles auf einem Schirm haben. So von wegen: ‚Alles immer mit einem Klick erreichbar.‘ Diese Zeit ist zum Glück vorbei.
Und natürlich sieht man auch in der Industrie, dass sich die UX und Usability extrem auf die Effizienz auswirken und somit im weitesten Sinn auf den Umsatz – intern oder beim Kunden.
Vor welchen Herausforderungen stehen Usability und UX im industriellen Kontext?
Die größte Herausforderung liegt aktuell noch in der Akzeptanz und im Verständnis für UX in Unternehmen. Viele Industrieunternehmen kommen aus dem handwerklichen Bereich; ob jetzt Stahlbau, Maschinenbau oder andere Tätigkeiten. Hier müssen oft noch ganz andere Herausforderungen gelöst werden, bevor es in den Köpfen zu den Oberflächen von Produkten geht. Dass das natürlich ein ganz falsches Verständnis ist, muss ich nicht betonen.
UX-Fachleute arbeiten ja nicht nur an Softwareprodukten, sondern auch an Serviceprozessen, an der Hardware-Interaktion und vielem mehr. Die User frühzeitig mit einzubinden, ist ein Wettbewerbsvorteil, der sich in barem Geld widerspiegelt.
Hier ist aber auch die Branche an sich gefragt, sich besser aufzustellen. UX und Usability benötigen bessere Ausbildungen und bessere Standards, die vor kurzem auch mit der UX-Akkreditierung geschaffen wurden. Vor allem im UX-Bereich kommen viele Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die glauben alles zu wissen. Leider kommt es dann oft zu Fehlentscheidungen und schlechten Projekten. Die Akkreditierung garantiert Unternehmen, dass sie mit ausgebildeten Personen mit reichlicher Erfahrung zusammenarbeiten und sie sich auch an die internationalen Standards halten.
Würdest du sagen, dass Usability hier eigentlich schon immer ein relevantes Kriterium für die Entwicklung von Produkten und Services war und nur die Bedeutung einer ansprechenden User Experience zunimmt?
Na klar. Schlussendlich haben ja schon immer Menschen die Produkte bedient und waren immer in Service und Prozesse eingebunden. Durch die technologische Weiterentwicklung haben wir natürlich viel mehr Möglichkeiten, die auch viel mehr Daten und viel mehr Information bedeuten. Wir Menschen können aber nur ein gewisses Maß an Information aufnehmen und weiterverarbeiten. In Stresssituationen wird das sogar noch weniger. Und hier kommen Usability und User Experience ins Spiel. Wir priorisieren und bereiten die Informationen wieder so auf, dass sie einfach und intuitiv zu bedienen sind.
Natürlich sind die heutigen Produkte kein Vergleich zu Maschinen von vor 100 Jahren, die eventuell nur drei Hebel und vier Knöpfe hatten. Heute haben wir fünf Screens und Millionen an Datensätzen.
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Future of Industrial Usability 2023
Lieber nicht „UX-Designer“: Zum Berufsbild UX/Usability
Du selbst hast den Juryvorsitz des IUX Awards inne. Wie beurteilst du die Bedeutung von Awards für eure Branche?
Awards sind in unserer Branche sehr schwer zu etablieren. Denn eine Mobile App mit einem Onlineshop oder der Steuerung einer Maschine zu vergleichen und zu bewerten, ist einfach nicht möglich. Das ist in etwa so, als würde man eine Ananas mit einer Himbeere vergleichen: Andere Zielgruppen, andere Tätigkeiten andere Interaktionsmöglichkeiten.
Aus diesem Grund haben wir uns beim IUX Award dazu entschlossen, nicht das Produkt zu evaluieren, sondern den Human-Centered-Design-Prozess der Entwicklung genau unter die Lupe zu nehmen. Wie wurde das Projekt aufgesetzt, welche Gegebenheiten waren vorhanden? Welche Methoden für Research, Konzeption und Testing wurden eingesetzt?
Den Prozess können wir als Experten sehr gut bewerten und vergleichen. Und das haben wir versucht, beim IUX Award zu machen. Wir wünschen uns einen klaren und transparenten Award, der hoffentlich nachhaltig an Wert gewinnen wird. Denn noch einmal: Aktuell ist der Markt sehr heterogen – dafür ist dieser Award Gold wert.
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