Distributed-Ledger-Technologien Fünf Gründe, warum die Industrie jetzt mit DLT starten muss
Nur wenige Technologien werden derzeit so heiß diskutiert wie Distributed Ledger. Die Bandbreite der Meinungen reicht von „Allheilmittel“ bis „Zeitverschwendung“. Die Beurteilung wird dadurch nicht leichter, dass echte Use Cases angeblich noch Mangelware sind.
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Die Vorteile von Distributed-Ledger-Technologien liegen klar auf der Hand. So ermöglichen sie dezentrale Plattformen zur sicheren und vertrauensvollen Abwicklung von Geschäften unter Partnern, die sich nicht kennen müssen und sich ohne solch eine Plattform nicht vertrauen würden. Gleichzeitig sind sämtliche Daten für alle Teilnehmer transparent und nachvollziehbar. Ob zwischen Menschen oder Maschinen – diese Kombination ermöglicht das Entstehen einer sehr wertvollen Ressource für jegliche Interaktion: Vertrauen.
Die neuen Technologien bringen aber auch Nachteile mit sich. Vor allem die erste Generation der Blockchains – zu der auch das bekannteste Beispiel, die Kryptowährung Bitcoin, zählt – weist deutliche Schwächen auf: Die Verifizierung der Daten mittels rechenintensiver Algorithmen kostet viel Rechenleistung und damit auch Energie. Dazu kommt, dass die Bestätigung der Daten durch alle Teilnehmer die Geschwindigkeit und damit die Skalierbarkeit stark einschränkt.
Die zweite Generation der Blockchains brachte mit Smart Contracts eine spannende Neuerung mit sich: Ab jetzt konnten in den dezentralen Netzwerken Tokens nicht mehr einfach nur hin- und her transferiert werden. Die Nutzer konnten komplexe Bedingungen vorgeben, zu welchen ein solcher Transfer stattfindet.
Distributed Ledger beyond Blockchain
Aktuell wird die so genannte dritte Generation von Blockchains entwickelt, wobei diese Bezeichnung ein wenig irreführend ist. Denn das bekannteste Beispiel, der Tangle der IOTA Foundation, ist eigentlich keine Blockchain mehr. Ansätze wie dieser versuchen, die Vorteile von Blockchains – dezentrales Netzwerk, Transparenz und Vertrauenswürdigkeit der Daten – mit einem höheren Datendurchsatz und einem geringeren Energieverbrauch zu verbinden. Das geschieht beispielsweise, indem nicht mehr alle Teilnehmer eines Netzwerks Transaktionen bestätigen müssen, sondern nur noch wenige, zufällig ausgewählte.
Aktuell sind diese Lösungen noch in der Entwicklung. Doch wenn sie den Sprung in die Praxis schaffen, könnten sie den entscheidenden Durchbruch für Distributed-Ledger-Technologien bedeuten. Und dieser Durchbruch könnte gewaltig sein, immerhin bieten Distributed-Ledger-Technologien eine Menge Potenzial, um Probleme zu lösen, bei denen die aktuelle Entwicklung ins Stocken geraten ist. Und damit nicht genug: Sie bieten auch Möglichkeiten, vollkommen neue Einnahmequellen zu erschließen.
Wir stellen fünf Use Cases vor, wie die Industrie von Distributed Ledger profitieren kann.
1. Neue Geschäftsmodelle und Einnahmequellen
Distributed Ledger ermöglicht sichere Transaktionen zwischen Teilnehmern, die sich bisher nicht kennen oder auch nicht trauen. Damit sind grundsätzlich gänzlich neue Geschäftsmodelle mit komplett neuen Kundengruppen möglich. Distributed Ledger der neuesten Generation werden erstmals wirtschaftliche Bezahlungen im Mikrobereich ermöglichen und das vollkommen automatisiert und quasi gebührenfrei. So entstehen spannende Möglichkeiten für Maschinenbetreiber, zusätzlich zu ihrem Geschäft Production-as-a-service anzubieten. Indem sie die Kapazitäten von nicht ausgelasteten Maschinen „vermieten“, optimieren sie die Auslastung und generieren zusätzliche Einnahmen.
Auch für die Hersteller von Maschinen ergeben sich Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle durch Distributed-Ledger-Technologien: Sie können Maschinen mit neuen, digitalen Funktionen effizienter gestalten, ohne deren Preis zu steigern. Die Kosten für die Entwicklung dieser Funktionen können dann im Betrieb wieder eingenommen werden, indem sich Betreiber und Hersteller die Ersparnisse teilen.
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Distributed Ledger-Technologie
Reduzierung von Abfällen mit Hilfe der Blockchain
2. Boost für die Smart Factory
Kosteneinsparungen und eine höhere Effizienz – diese Hoffnungen verbinden viele Unternehmen mit Industry 4.0 beziehungsweise dem Konzept einer „Smart Factory“. Tatsächlich stoßen „herkömmliche“ Ansätze hier schon längst an ihre Grenzen. Doch auch die Idee der Smart Factory ist ins Stocken geraten. Ein wichtiger Grund hierfür ist, dass die aktuellen zentralistischen Ansätze, beispielsweise mit einer Cloud, mittelfristig zu einem Bottleneck werden könnten.
Hier bieten Distributed-Ledger-Technologien eine Lösung, indem sie Maschinen mit eigener Handlungsbefugnis ausstatten und ihnen so erlauben, autonomer zu agieren. Mithilfe von Tokens können so auch Ökosysteme entstehen, die sogar über das eigene Unternehmen hinaus bestehen können.
3. Basis für die eigene Plattform
Generell werden Ökosysteme und Plattformen in Zukunft immer wichtiger für den Erfolg von Unternehmen. Hier können Distributed-Ledger-Technologien einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie eine technische Lösung für das nötige Vertrauen bieten, das für solche Kooperationen nötig ist. Die Transparenz der Netzwerke ermöglichst beispielsweise einen Real Time Beweis für Qualitätssicherung. Zusätzlich wird die gesamte Wertschöpfungskette durch den Einsatz von Distributed-Ledger-Technologien schlanker. Der Grund: Mittelsmänner erübrigen sich.
So beschäftigen sich Unternehmen beispielsweise mit Blockchain im Procurement. Smart Contracts erlauben es Preisanpassungen automatisch vorzunehmen, um ein wettbewerbsfähiges Pricing zu ermöglichen, oder ein automatisches und transparentes Entschädigungsverfahren einzurichten. Ein solches Verfahren könnte zudem in der Lage sein, Betrug frühzeitig zu ermitteln und so wirtschaftlichen Schaden zu vermeiden. So schafft diese Transparenz Vertrauen an allen Punkten der Wertschöpfungskette.
4. Die digitale Supply Chain
Supply Chain ist eines der wichtigsten Themen für Unternehmen heutzutage. Die Vision: Rohstoffe oder Halbzeuge direkt und ohne Zeitverlust in den Produktionsprozess einzubringen und so die Kosten für Lager und Logistik minimieren. In der Praxis scheitert diese Idee jedoch oft daran, dass die Lieferketten deutlich länger sind als der Informationsfluss. Die Information über einen Engpass beim Rohstoffhersteller kommt oft erst dann beim Produzenten an, wenn der entsprechende Rohstoff ausbleibt.
Das Problem ist hierbei, dass nicht alle Teilnehmer an der Supply Chain ein Interesse daran haben oder auch nur in der Lage sind, ihre Daten zeitnah an alle zu übermitteln. Mit einer Supply Chain, die auf Distributed-Ledger-Technologien aufbaut, wären Informationen sofort für alle verfügbar, Produzenten können rechtzeitig auf Ausfälle und Engpässe reagieren.
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Nachhaltigkeit
Neue Plattform will Blockchain-Ökobilanz verbessern
5. Kampf gegen Fälschungen
Ein weiterer Vorteil einer so transparenten Lieferkette: Distributed-Ledger-Technologien erlauben es, Produkte und Rohstoffe beziehungsweise deren Herkunft genau zu tracken und die Echtheit zu verifizieren, auch über mehrere Parteien hinweg. Ein wichtiger Punkt, denn schließlich wird Produktauthentizität immer wichtiger. So schätzt Frontier Economics, dass bis zum Jahr 2022 ein Schaden von 4,2 Milliarden US-Dollar durch gefälschte Produkte entsteht.
Ein Vorreiter ist hier die Pharmabranche, in der die FDA erst vor kurzem offiziell Blockchain als Technologie empfohlen hat, um gegen gefälschte Medikamente vorzugehen. Aber auch bei der Herkunft unterschiedlicher Materialien und Rohstoffe besteht hier laut Frontier Economics großes Potential.
Fazit
Die obenstehenden Punkte zeigen deutlich, dass ein lange und oft vorgetragenes Argument gegen Distributed-Ledger-Technologien so nicht mehr stimmt: Es gibt mittlerweile Use Cases, gerade auch für die Industrie. Zugegeben: Diese meisten aktuellen Beispiele sind noch nicht implementiert und es sind nach wie vor nicht alle technischen Fragen geklärt. Doch das Bild, wie und wo Distributed-Ledger-Technologien in Zukunft zum Einsatz kommen wird immer klarer.
Aus diesem Grund ist jetzt der richtige Zeitpunkt für Unternehmen, um sich mit Distributed Ledger auseinanderzusetzen. Vielleicht noch nicht mit einem konkreten Projekt. Aktuell geht es eher darum, Wissen und erste Erfahrungen zu sammeln und die Möglichkeiten für diese Technologie im eigenen Unternehmen zu evaluieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass die aktuellen eigenen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung eine spätere Verwendung von Distributed-Ledger-Technologien erlauben.
*Simone Giehl ist Expertin für Blockchain und andere Distributed Ledger Technologien und arbeitet als Business Lead für das Thema Blockchain bei Zühlke.
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