Expertenbeitrag

 Peter Lutz

Peter Lutz

SERCOS International e.V.

Echtzeitkommunikation Ethernet TSN läutet eine neue Ära der industriellen Kommunikation ein

Autor / Redakteur: Peter Lutz / Redaktion IoT |

Ethernet TSN erlaubt erstmals in der über 40-jährigen Geschichte von Ethernet eine zeitgesteuerte und deterministische Übertragung von echtzeitkritischen Nachrichten über Standard Hardware. Damit wird eine neue Ära in der industriellen Kommunikation eingeleitet.

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Die Verwendung von Ethernet TSN bietet viele Vorteile
Die Verwendung von Ethernet TSN bietet viele Vorteile
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Die Vorteile einer Verwendung von Ethernet TSN liegen auf der Hand: es kann über Standard Hardware mit integrierter Echtzeitfähigkeit eingesetzt werden, was in niedrigen Kosten und einem breiten Hersteller- und Produktangebot resultiert. Darüber hinaus ermöglicht der TSN-Standard die Konvergenz von Produktions- und IT-Netzwerken, d.h. Echtzeitkommunikation und normale Ethernet-Kommunikation können über einen einheitlichen Netzwerkstandard übertragen werden. Dies stellt eine ideale Basis für die Umsetzung von Industrie 4.0 und IIoT-Konzepten dar.

Evolution der Feldbus-Systeme

Mit der Verfügbarkeit von Ethernet TSN wird auch die Evolution der Feldbussysteme fortgeschrieben.

Feldbusse der 1. Generation wurden für spezifische Anforderungen und Aufgaben konzipiert. So wurde Sercos als Antriebsbus entwickelt, um die analoge +/- 10V Antriebsschnittstelle abzulösen. Profibus, Interbus oder auch Devicenet wurden als Feldbusse für die E/A-Kommunikation entwickelt. Und Ethernet wurde zum damaligen Zeitpunkt nicht auf der Feldebene eingesetzt, sondern lediglich um Maschinen in übergeordnete IT-Systeme einzubinden.

Bild 1: Evolution der Feldbus-Systeme (Quelle: Sercos)

Feldbussysteme der 2. Generation zeichnen sich dadurch aus, dass sie allesamt auf Ethernet basieren und somit eine sehr viel höhere Bandbreite zur Verfügung haben. Allerdings benötigen sie zur korrekten Funktionsweise und zur Erreichung einer entsprechenden Übertragungs- und Echtzeitperformance eine spezielle Hardwareunterstützung. Damit sind diese Systeme nicht konform zu den Standards IEEE 802.1 und 802.3, wodurch die vertikale und horizontale Integration mit Ethernet nicht optimal umgesetzt werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Echtzeit-Ethernet-Protokolle in einer gemeinsamen Netzwerk-Infrastruktur nicht koexistieren können, ohne dass die Performance und Echtzeitcharakteristik beeinträchtigt wird. Verschiedene Echtzeit-Ethernet-Lösungen nutzen die Netzwerkinfrastruktur sogar exklusiv, so dass andere Protokolle über das jeweils unterlagerte Echtzeit-Protokoll getunnelt werden müssen (siehe Bild 2a). Allerdings setzt dies ein laufendes bzw. funktionierendes Echtzeit-Protokoll voraus, um mit den Geräten überhaupt kommunizieren zu können. Einen anderen Ansatz verfolgen Echtzeit-Ethernet-Lösungen, die eine Koexistenz mit anderen Ethernet-Protokollen unterstützen. Dabei können andere Protokolle sowohl mit als auch ohne das jeweilige Echtzeit-Protokoll genutzt werden (siehe Bild 2b). Vertreter dieser Echtzeit-Ethernet-Lösungen sind z.B. Sercos III und Profinet IRT.

Bild 2: Echtzeit-Ethernet Schnittstellen im Vergleich (Quelle: Sercos)

Ethernet TSN läutet nun die 3. Feldbusgeneration ein. Denn diese Technologie erlaubt erstmals in der über 40-jährigen Geschichte von Ethernet eine zeitgesteuerte und deterministische Übertragung von echtzeitkritischen Nachrichten über Standard Ethernet Hardware (Bild 3c). Ethernet TSN nutzt dafür das Prinzip eines Zeitschlitzverfahrens, welches Sercos schon seit über 25 Jahren für die Echtzeitkommunikation verwendet. Da bei Ethernet TSN Echtzeitkommunikation und normale Ethernet-Kommunikation über einen einheitlichen Netzwerkstandard übertragen werden können, ergeben sich zukunftsweisende Lösungsansätze um Produktions- und IT-Netzwerke zusammenzuführen.

Sercos III im Kontext von Ethernet TSN

Das Übertragungsverfahren von Sercos basiert seit der Einführung der ersten Generation (Sercos I) im Jahre 1990 auf einem Zeitschlitzverfahren und einer zyklischen Kommunikation. Sercos III unterstützt nicht nur die Übertragung von Echtzeittelegrammen im sogenannten Echtzeit-Kanal, sondern erlaubt außerdem die Übertragung beliebiger anderer Ethernet-Protokolle im sogenannten UC-Kanal (siehe Bild 3 oben).

Bild 3: Übertragungsverfahren von Sercos III im Kontext von Ethernet TSN (Quelle: Sercos)

Ethernet TSN besitzt alle Eigenschaften und Mechanismen, um das Sercos Übertragungsverfahren mit Standard Ethernet Hardware umzusetzen bzw. nachzubilden. Die Basis von Ethernet TSN ist der Standard IEEE 802.1Q, welcher die Aufteilung physikalischer Netzwerke in mehrere logisch getrennte, priorisierte virtuelle Netze spezifiziert. Mit verschiedenen Sub-Standards werden darauf aufbauend ergänzende Features spezifiziert, die im Folgenden erläutert und in den Kontext des Übertragungsverfahrens von Sercos gebracht werden (siehe Bild 3 unten).

  1. Zeitsynchronisation: Alle Netzwerkteilnehmer haben ein gemeinsames Verständnis der Zeit.
    Dazu greift Ethernet TSN auf Mechanismen aus IEEE 802.1ASrev IEEE 1588 zurück. Das darin beschriebene Protokoll zur Zeitsynchronisation (PTP=Precision Time Protocol) definiert, wie räumlich verteilte Echtzeituhren untereinander synchronisiert werden.
  2. Zeitschlitzverfahren: Synchrone Zeitschlitze erlauben die Übertragung verschiedener Traffic-Klassen und eine zeitgesteuerte Datenübertragung. Ethernet TSN nutzt dafür den Substandard IEEE 802.1Qbv (Enhancements for scheduled traffic).
  3. Scheduling und Traffic Shaping: Alle teilnehmenden Geräte arbeiten bei der Bearbeitung und Weiterleitung von Netzwerkpaketen nach den gleichen Regeln. Ethernet TSN nutzt dafür den Substandard IEEE 802.1Qcc (Stream Reservation).
  4. Frame Preemption: Telegramme können unterbrochen werden und später fortgesetzt werden. Ethernet nutzt dafür den Substandard IEEE 802.1Qbu (Frame Preemption).