Expertenbeitrag

Prof. Dr. Andreas Syska

Prof. Dr. Andreas Syska

Professor für Produktionsmanagement, Hochschule Niederreihn

Trend-Dossier 2019 Digitalisierung für die Menschen

Autor / Redakteur: Prof. Dr. Andreas Syska / Sebastian Human |

Der Hype ist vorbei. Die Angst, etwas zu verpassen ist dem klaren Blick für das Machbare gewichen. Pragmatisch und nüchtern ist die Herangehensweise in den meisten Unternehmen - punktuelle Verbesserungen sind die Folge. Und dass Industrie 4.0 nun doch keine Revolution ist, wen kümmert das schon?

Anbieter zum Thema

Eine Welle wie die Digitalisierung kann man als unabwendbares Naturereignis verstehen - oder man versucht sie zu surfen.
Eine Welle wie die Digitalisierung kann man als unabwendbares Naturereignis verstehen - oder man versucht sie zu surfen.
(Bild: Photo by Jeremy Bishop on Unsplash)

Dieser klare Blick eröffnet die Chance, die Digitalisierung nun endlich zum Nutzen der Menschen zu gestalten - und zwar jenseits von Effizienz, Transparenz und Wachstumszwang. Aber geschieht das nicht längst? Heißt es nicht, der Mensch stehe im Mittelpunkt der Digitalisierung. Ja, das ist zu hören. Gemeint ist aber, dass man ihm beibringen müsse, diese neue Technik zu bedienen. Nicht, weil den Treibern der Digitalisierung sein Wohl so wichtig wäre, sondern damit die ganzen digitalen Tools auch eingesetzt werden.

Derzeit kommt die Digitalisierung wie ein unabwendbares Naturereignis daher, wie etwa eine Flutwelle, auf die man sich vorzubereiten hat. Es sind aber Menschen, die Digitalisierung „machen“. Sie treffen Entscheidungen, etwas bislang Analoges zu digitalisieren. Sie müssten dies nicht tun, machen es aber, weil sie sich hiervon einen Vorteil versprechen, wie etwa erhöhte Produktivität oder verbesserte Flexibilität. Das ist absolut legitim. Deshalb entsteht die Flutwelle der Digitalisierung nicht einfach so, sondern dadurch, dass jemand in voller Absicht Schleusen öffnet - um anschließend laut zu rufen, man müsse nun schwimmen lernen, und das möglichst schnell. Und so werden alle zum Schwimmunterricht geschickt und machen ihr digitales Seepferdchen, damit sie in der - von anderen erzeugten Flutwelle - nicht untergehen. Dies erzeugt bei den Menschen so einiges - Freude ist vermutlich nicht dabei.

Die Menschen werden nur als Mittel gesehen, weshalb die Digitalisierung derzeit noch ihren enormen Möglichkeiten nicht gerecht wird. Dies wird bald verstanden sein – und deshalb wird sich auch die Denkrichtung ändern. Man wird aufhören, den Menschen ausschließlich als Operator, bestenfalls noch als Konsument zu begreifen, sondern als Persönlichkeit, die es zu entwickeln gilt. Statt also den Menschen zu sagen, was sie zu leisten haben, damit die Digitalisierung funktioniert, wird man der Digitalisierung sagen, was sie zu leisten hat, damit sie den Menschen nützt.

Ja, die Digitalisierung ist eine von Menschen gemachte Welle, die von vielen als Tsunami empfunden wird. Stattdessen könnte man auf dieser Welle wunderbar surfen, wenn damit eine attraktive Vision verbunden ist - die Frage nach dem Warum also hinreichend beantwortet wurde. Doch diese Vision entsteht weder in den Supply Chains, noch auf dem Shop Floor, sondern in der Mitte der Gesellschaft.

Folgendes zeichnet sich ab - wer dies einen Trend nennen will, möge dies tun: die Visionäre einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die aus allen Bereichen und Schichten der Gesellschaft kommen, setzen sich mit den Treibern der Digitalisierung zusammen und nutzen die historisch einmalige Chance, die die Digitalisierung für alle Menschen bietet. Die Zukunft im Allgemeinen und die Digitalisierung im Speziellen kommen nicht einfach auf uns zu. Sie sind Ergebnis unserer Taten. Unsere Taten sind das Ergebnis unserer Pläne. Und unsere Pläne sind das Ergebnis unserer Visionen.

Wir werden bald verstehen, dass wir zunächst die Frage zu beantworten haben, wie wir zukünftig leben und arbeiten wollen, um der Digitalisierung ihren dringend benötigten Sinn zu geben.

(ID:45666688)