Abas Global Conference 2018 Digital muss schön sein: Romantik statt Algorithmen?
Als Reaktion auf Algorithmen, die unsere Beziehungen standardisieren und optimieren, beobachtet Tim Leberecht eine neue Sehnsucht nach roher, ungefilterter Emotionalität und „flüssigen Identitäten“. In seiner Keynote zur Abas Global Conference 2018 wird der Business-Romantiker vier Prinzipien vorstellen, die Unternehmen menschlicher gestalten.
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Tim Leberecht ist Autor, Unternehmer und Business-Vordenker. Vorab schon ein paar Fragen an den Gründer und CEO des Beratungsunternehmen The Business Romantic Society LLC, San Francisco, zur Thematik seines Vortrags bei der Abas Global Conference (20. und 21. September 2018, Karlsruhe).
Was sind die größten Herausforderungen für mittelständische, insbesondere fertigungsnahe Industrieunternehmen?
Da gibt es drei: Digitalisierung, Nachwuchs und die Stabilität unserer Gesellschaft. Aber der Reihe nach: Digitalisieren heißt nicht nur Infrastruktur und Prozesse upzudaten, sondern die gesamte Art des Wirtschaftens zu ändern, weg von Kommando und Kontrolle hin zu offener Innovation und zu Plattform-Modellen.
Gleichzeitig aber müssen Firmen über die Digitalisierung hinaus denken. Dies bedeutet vor allem den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und sich gut auf die sozialen und emotionalen Auswirkungen der nächsten Automatisierungswelle vorzubereiten. Gerade Mittelständler werden sich starken Preiskämpfen ausgesetzt sehen, mit immer aggressiverer Konkurrenz aus dem Ausland, insbesondere China. Sie müssen daher einen eigentlich unmöglichen Spagat schaffen: zum einen offen bleiben und agil genug sein, um sich immer wieder schnell auf neue Technologieentwicklungen einzustellen, aber auf der anderen Seite eine klare Position haben, die auf den tradierten Werten und der eigenen Unternehmenskultur beruht.
Europäische Firmen haben hier die historische Chance, eine neue sozial gerechte, menschenwürdige digitale Ökonomie mitzugestalten, als Alternative zu den Technologieutopien, dem Wachstumswahn und brutalem Darwinismus von Silicon Valley und Wall Street. Es steht vieles auf dem Spiel, und es ist sehr wichtig, dass deutsche Unternehmer und Manager unsere freiheitlich-demokratischen Werte verteidigen, wie dies z.B. Jo Kaeser, der CEO von Siemens so lautstark tut. Diese klaren Positionen, der moralische Kodex, der Purpose des Unternehmens, wie das jetzt so schön auf Neudeutsch heißt, ziehen dann wiederum Nachwuchskräfte an, Millennials und Generation Z. Die wollen vor allem dazulernen, die Freiheit haben, unternehmerisch und unabhängig zu denken und zu arbeiten, und das Gefühl, etwas wirklich Sinnhaftes, d.h. auch gesellschaftlich sinnvolles, zu tun.
Würden Sie sagen, die Unternehmen in Europa gehen diese Herausforderungen überwiegend richtig an?
Im Großen und Ganzen ja. Ob Airbus, Kuka, Festo, Danone, Daimler, Kärcher oder Edeka – ich bin immer wieder beeindruckt von dem Wissensdrang und auch dem Wissensstand europäischer Unternehmen. Ich habe ja, als ich noch im Silicon Valley bei Frog Design arbeitete, einer Design- und Innovationsagentur, oft europäische Management-Teams zu Gast gehabt. Die waren immer sehr fit, und es konnte ihnen keiner was vormachen. An Know-how und Aufgeschlossenheit fehlt es also nicht. Allerdings gibt es leider immer noch viel zu viel Angst in europäischen Firmen: Angst vor der Veränderung, davor, etwas Neues auszuprobieren, Angst vor dem Gesichtsverlust, gerade auch im mittleren Management. Da sitzen noch zu viele Besitzstandswahrer, zu viele Verhinderer mit einer „Geht nicht“-Mentalität.
Man sieht das auch an der immer noch viel zu starren Bürokratie für Start-ups in Europa und des doch relativ geringen Innovationsoutputs, zumindest, was echte Disruptionen betrifft. Professor Günther Schuh von der RWTH Aachen sagte neulich auf einem Panel, dass die deutschen Ingenieure doch spitze seien und locker ein Unternehmen wie Airbnb schaffen könnten – haben sie aber nicht. Was die digitalen Plattformen angeht, sind wir längst von den USA und China abgehängt (sechs der zehn wertvollsten Firmen der Welt sind mittlerweile Plattformen, und sie kommen alle aus den USA und China), ähnlich ist das wohl auch bei der großflächigen kommerziellen Verwertung von Künstlicher Intelligenz (KI). Wir müssen in beiden Bereichen einfach schneller werden, Bequemlichkeiten aufgeben und Ballast über Bord werfen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass sich unsere Gesellschaft drastisch verändert.
Die größte Chance sehe ich für Europa gerade deswegen im Erkunden neuer gesellschaftlicher Lösungen wie z.B. Datengewerkschaften oder universellem Grundeinkommen, und natürlich auch in den Bereichen Industrie 4.0 und Dezentralisiertes Web mit Blockchain und anderen Technologien. Da gelten Berlin oder auch die Gegend um das schweizerische Zug, das sich sehr clever zum Crypto Valley aufgeschwungen hat, als echte Hubs für Pioniere. Die Schnittstelle von digitalen Technologien und sozialer Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Menschenwürde – das ist Europas Sweet Spot.
Wenn Sie ein mittleres Produktionsunternehmen führten, welche Prioritäten würden Sie jetzt legen?
Erstens, ganz tief in die KI eintauchen, das Thema verstehen und herausfinden, was für die eigene Firma funktioniert und was nicht. Zweitens: Den Menschen – als Kunde und Mitarbeiter – in den Mittelpunkt stellen. Die besten Mitarbeiter finden und binden und in eine Kultur investieren, in der sie sich wohl und sicher fühlen und immer weiterlernen können. Und drittens: Fokussieren. Am besten auf die drei wichtigsten Strategien, und die dann sauber implementieren. Ganz klar: die nächsten Jahre werden turbulent. Da heißt es: Anschnallen!
Tim, Sie stehen für einen abwechslungsreichen und emotionalen Arbeitsplatz. ERP-Systeme und Digitalisierung machen die Arbeits- und Produktionsabläufe effizienter, organisierter und überlassen nichts mehr dem Zufall. Wie kann ein Unternehmen dafür sorgen, dass die emotionalen und sozialen Aspekte nicht auf der Strecke bleiben?
Das ist ja genau das Problem: dass wir Digitalisierung auf Effizienzsteigerung reduziert haben. Die Idee war doch eigentlich, dass uns Technologie menschlicher macht. Und jetzt müssen wir mit ansehen, wie uns digitale Technologien entmenschlichen, uns immer mehr den Zwang der datengesteuerten, dauer-quantifizierten Selbstoptimierung auferlegen, mit der Folge eines Digitalen Taylorismus, der die Mechanisierung von Arbeit der industriellen Ära auf die digitale Wirtschaft übertragen hat. Kein Wunder, dass die Menschen überwiegend von der Digitalisierung enttäuscht sind. Schauen Sie sich die letzte Gallup-Studie an: Nur ein Drittel aller Arbeitnehmer weltweit sind voll engagiert bei der Arbeit. In Deutschland haben 70 Prozent bereits innerlich gekündigt, und 86 Prozent klagen über arbeitsplatzbedingten Stress.
Die Idee der Effizienzsteigerung durch Digitalisierung ist ja an sich eine Riesen-Illusion: die Produktivität ist, nach einem kurzen Anstieg in den 90er Jahren, wieder konstant gesunken trotz digitaler Technologien, und zudem sind die Externalitätskosten der tatsächlichen Effizienzsteigerung erheblich. Natürlich wird auf der einen Seite durch optimierte Prozesse Geld gespart, aber auf der anderen Seite betreiben Unternehmen dabei oft Raubbau an ihrem wichtigsten Kapital: den Menschen und deren Wohlbefinden und Motivation.
Meine Idee der Business Romantik ist ein Versuch, diese Spannung aufzulösen. Sie verbindet die rationale Logik und das Effizienzdenken der Wirtschaft auf der einen Seite mit unserer Sehnsucht nach Abwechslung, Unberechenbarkeit und Emotionen auf der anderen. Es ist ein Trend, der immer stark wird: als Gegenentwurf zur digitalen Automatisierung der Welt.
Auch wirtschaftlich macht dies Sinn: Menschengerechte Arbeit macht uns glücklicher, von innen heraus motivierte Mitarbeiter sind produktiver und innovativer. Zudem wollen Menschen Kontakt mit anderen Menschen: wenn alle andere nur maximieren und optimieren, dann stechen jene Unternehmen heraus, die eine einzigartige Kultur haben und echte authentische Beziehungen anbieten. Auch innovativ sein können Maschinen noch nicht, sondern nur Menschen. Und zwar nur Menschen, die die Welt so sehen nicht ist, aber sein könnte. Menschen mit enormer Phantasie und großer Leidenschaft. Mit anderen Worten: Romantiker. Von Thomas Edison bis hin zu Carl Benz zu Steve Jobs. Alles Romantiker.
Deswegen interessieren sich immer mehr Unternehmen für einen neuen Humanismus. Sie wissen, dass das, was sie die in letzten Jahrzehnt erfolgreich gemacht – Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung – in Zukunft nicht mehr reichen wird.
Wie können Unternehmen nun damit beginnen, diese Art von Denken umsetzen? Zunächst, indem sie Räume schaffen für Reflexion, Phantasie, Spiel, insbesondere um Intrapreneurship zu fördern. Nichts ist romantischer als Unternehmertum; etwas Neues anzufangen; sich in Abenteuer zu stürzen. Mitarbeiter, die Ideen haben und den Drive diese umzusetzen, sollten dazu immer die Mittel und nötige Zeit erhalten. Auch wenn diese Projekte nicht immer zu bahnbrechenden Neueinführungen führen, so ist doch der Lerneffekt für sowohl Unternehmen als auch Mitarbeiter erheblich, ganz zu schweigen von der Mitarbeitermotivation.
Darüber hinaus sollten Unternehmen digitale Technologien einsetzen, um positive emotionale Momente zu schaffen, Intimität und Vertrauen. Die Kollaborationsplattform Slack hat das vorgelebt: wie man Enterprise-Software auf natürliche menschliche Kommunikation hin gestaltet und spielerisch, leicht und intuitiv macht.
Digital muss schön sein, für den Kunden und den Mitarbeiter. Es reicht einfach nicht mehr, ein produktives und erfolgreiches Leben zu führen, wir wollen vor allem auch ein schönes Leben führen, ein sinnerfülltes und auch sinnliches Leben – und zwar durch die Arbeit, nicht außerhalb der Arbeit. Enterprise-Software kann dazu einen zentralen Beitrag leisten.
Die globale Abas Konferenz für Anwender, Interessenten und Partner findet vom 20. bis 21. September 2018 in Karlsruhe statt. Mit 1500 Besuchern aus aller Welt, rund 70 Vorträgen und Workshops auf sechs Bühnen sowie einem großen Ausstellerbereich, hat sich die Abas Konferenz zu einem wichtigen Treffpunkt für mittelständische Unternehmen entwickelt, bei dem Entscheider ERP- und IT-Trends wie die digitale Transformation, Cloud und das Internet der Dinge diskutieren. Die Messe Karlsruhe bietet dafür eine moderne Infrastruktur.
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