Über E-Sourcing und Online-Fertiger Die Beschaffung muss digitaler werden
Die Corona-bedingten Lieferengpässe zeigen: In vielen Einkaufsabteilungen bedarf es einer Neujustierung von Beschaffungsstrategien. Insbesondere gilt es, die Digitalisierung des Einkaufs voranzutreiben.
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Bereits in den ersten Wochen der Corona-Pandemie wurde deutlich: Deutschlands Abhängigkeit von globalen Wertschöpfungsketten - sonst ein Segen - kann ein Fluch sein, wenn Lieferketten reißen und der inländischen Produktion stillgelegt werden müssen.
Doch wie abhängig ist Deutschland von solchen Zulieferungen. Prof. Dr. Monika Wohlmann und Prof. Dr. Luca Rebeggiani von der FOM Hochschule in Essen sind der Frage nachgegangen. Hier die Ergebnisse: Der Anteil der ausländischen Wertschöpfung an der Gesamtwertschöpfung liegt in Deutschland bei rund 25 Prozent und damit leicht über dem Anteil, den Frankreich (23 Prozent) oder Großbritannien (22 Prozent) aufweisen.
Allerdings Anteil der ausländischen Wertschöpfung an der Gesamtwertschöpfung liegt in Deutschland deutlich über dem Anteil der ausländischen Wertschöpfung in den USA (zwölf Prozent). Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass der Anteil, den die Industrie zum BIP beisteuert, in Deutschland mit ungefähr 30 Prozent (2018) fast doppelt so hoch ist wie den Vereinigten Staaten. Die USA "produzieren" wesentlich mehr Dienstleistungen und "digitale" Produkte.
Supply Chains oder der Triumph der Komplexität
Gerade bei der Produktion hochentwickelter Industrieerzeugnisse ist die komplette globale Wertschöpfungskette selbst für die Unternehmen nur noch schwer nachvollziehbar. So kommt ein Autobauer wie Daimler auf 213 direkte Zulieferer. Allein die zehn größten von ihnen (die 1st-Tier-Zulieferer) haben zusammen wiederum 588 Zulieferer, die ihrerseits von mehr als 2900 weiteren Zulieferern abhängen.
Diese Firmen sind über den gesamten Globus verteilt und besitzen zudem vielfältige Querverbindungen und Mehrfachbeziehungen untereinander. Generell gelten die globalen Wertschöpfungsketten in der Automobilbranche als besonders störungsanfällig. Stehen in China die sprichwörtlichen Räder still, so kommt im "worst case" auch hierzulande die Produktion zum Erliegen. Denn es gibt praktisch kein Auto, in dem keine chinesische Vorprodukte verbaut werden.
Das Management komplexer Supply Chains Risiken (z.B. durch Digitalisierung) ist deshalb eine wichtige Aufgabe in der Automobilbranche und stand auch beim Kongress AKJ Automotive 2020 auf der Agenda. Leider musste die Veranstaltung die vom Expertennetzwerk für Logistik und Produktion in der Automobilindustrie KJ Automotive organisiert wird und am 25 und 26. März 2020 in Aachen OEMs, Zulieferer und Dienstleister zusammenbringen sollte, wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden.
Dass auch noch so ausgefeilte Supply-Chain-Management -Konzepte in Krisenzeiten an ihre Grenzen stoßen können, liegt auf der Hand, Dennoch kann man generell die Risiken von Lieferausfällen mindern - etwa dadurch, dass man seine Einkaufsstrategie überdenkt und bei der Beschaffung bestimmter "strategischer" Zulieferprodukte mehrere Bezugsquellen nutzt (Multplie Sourcing) oder die Dienste von Online-Fertigern in Anspruch, die im "Hintergrund" über ein entsprechendes Fertigungsnetzwerk verfügen.
Fertigen im Netzwerk
Dazu gehört beispielsweise Facturee. Die von der Berliner cwmk GmbH betriebene Plattform verzeichnet nach eignen Aussagen derzeit eine massiv steigende Nachfrage. Der Grund: Factruree verfügt über in stetig wachsendes weltweites Netzwerk an Fertigungspartnern (derzeit über 500) und kann dadurch freie Kapazitäten durch Umverteilung sowie kurze Lieferzeiten selbst in Krisenzeiten bieten.
„Durch die Krise erfährt die Online-Fertigung derzeit einen massiven Schub. Es zeigt sich branchenübergreifend, dass die Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung von Prozessen wichtiger ist denn je – geradezu alternativlos. Beschaffungsprozesse über ein Online-Netzwerk sind denen der klassischen Lohnfertigung weit überlegen. Wenn ein konventioneller Fertigungsbetrieb wegen eines Corona-Falles komplett geschlossen werden muss, fällt die Lieferung aus. Wir als Online-Fertigungsnetzwerk können Lieferengpässe hingegen auch in schwierigen Zeiten durch Umschichtung umgehen und die Produktionsaktivitäten durch unsere moderne Infrastruktur schnell den Gegebenheiten anpassen“, erklärt Lukas Schlicker, Head of Purchasing bei Facturee.
Das Portfolio von Facturee umfasst
- CNC- und Blechbearbeitung,
- 3D-Druck sowie
- Oberflächenbehandlungen.
Außerdem kümmert sich der Berliner Fertigungsdienstleister darum, dass die gefertigten Teile fristgerecht beim Auftraggeber angeliefert werden.
Durch das umfangreiche Produktionsnetzwerk von Fertigungspartnern stehen den Berlinern konstant mehr als 6000 CNC-Maschinen für Fertigungs-Projekte zur Verfügung. Alle Partner unterliegen einem kontinuierlichen datengetriebenen Qualitätsmanagementsystem, das nach ISO 9001 zertifiziert ist.
Dazu Lukas Schlicker: „Es haben uns viele Anfragen erreicht, ob uns noch ausreichend freie Kapazitäten zur Verfügung stehen und wir unsere gewohnt kurzen Lieferzeiten halten können. Dies ist definitiv weiterhin der Fall. Darüber hinaus haben wir uns bei unseren Logistikpartnern rückversichert, dass eine zuverlässige Belieferung weiterhin möglich ist. Natürlich kann es in einer solchen weltweiten Krisensituation auch bei uns zu einer Verzögerung kommen. Diese können wir aber dann sehr schnell wieder auflösen. Das Risiko einer starken Verzögerung ist bei uns im Vergleich zur konventionellen Lohnfertigung aber von Natur aus deutlich geringer.“
Parker Hannifin macht's vor
Parker Hannifin hat sich bereits vor der Corona-Krise für diese moderne Form der Beschaffung entschieden. Der Maschinenbauer, der - unter anderem in den Bereichen Hydraulik/Pneumatik, Antriebs- und Steuerungstechnik tätig ist, lässt spezielle Dreh- und Frästeile für Montagevorrichtungen im Bereich Engineering bei Facturee fertigen und kann so effizient die eigene digitale Transformation vorantreiben, ohne von Kapazitätsengpässen und unverhältnismäßiger Personalbindung beeinträchtigt zu sein.
Daniel Scharnowski, Prüfstandstechniker bei Parker Hannifin, erklärt: „Bis November 2019 erfolgte die Fertigung entsprechender Komponenten bei uns hierzulande noch im Musterbau. Bis zu 80 Prozent unserer Azubis waren in den Prozess einbezogen, was im Unternehmen als problematisch angesehen wurde. Wir entschlossen uns daher dazu, die Herstellung der Bauteile an einen Online-Fertiger outzusourcen. Durch die zeitgemäße Form der Beschaffung von Dreh- und Frästeilen über ein Online-Netzwerk sollte eine durchgehende Digitalisierung und Automatisierung des Bestellprozesses zu höherer Effizienz führen. In Verbindung mit hoher Qualität sollte sich daraus ein Wettbewerbsvorteil ergeben.“
Und das hat funktioniert. Daniel Scharnowski resümiert: „Trotz der komplexen Herstellung bei hoher Stückzahl und eng gesetzter Lieferfrist konnte Facturee bereits vor dem vereinbarten Liefertermin die Bauteile ausliefern. Weitere Vorteile ergaben sich in der zügigen Auftragsbearbeitung und der persönlichen Kundenbetreuung.“ Deshalb ist Parker Hannifin dieser Form der Teilebeschaffung bis dato treu geblieben.
Techpilot - ein Pionier des E-Sourcing
Ein weitere Player im Bereich E-Sourcing ist Techpilot, im Jahr 2000 etabliert und heute Europas führender Online-Marktplatz für Zeichnungsteile Die von Dynamic Markets betriebene Plattform verbindet mehr als 16.000 Einkäufer mit 21.000 Zulieferbetrieben, die 280 Fertigungstechnologien - von der Zerspanung und Blechbearbeitung über den Werkzeug- und Formenbau bis hin zur Kunststoffverarbeitung und zum Rapid Prototyping - repräsentieren.
Techpilot war auch Schirmherr für neue Sonderkategorie “Fertigungsbetrieb 2019“ des Best of Industry Awards 2019 unseres Partnermagazins und -portals MM Maschinenmarkt. Motivation für für Techpilot, die Schirmherrschaft zu übernehmen war, Fertigungsunternehmen - diese sind unabhängig vom Erfolg für die Öffentlichkeit oft nahezu unsichtbar - die verdiente Sichtbarkeit zu verschaffen,
Generell aber ist bei der Einführung und beim Ausbau digitaler Lösungen in "deutschsprachigen" Einkaufsabteilungen noch jede Menge Luft nach oben. Das zeigt das „BME-Barometer Elektronische Beschaffung 2020“. Die Studie wurde von Prof. Holger Müller von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) und Prof. Ronald Bogaschewsky (Universität Würzburg) im Auftrag des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) durchgeführt. Partner waren der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ) und die Allocation Network GmbH. Im BME-Barometer untersuchen Müller und Bogaschewsky seit 2018 jährlich den aktuellen Stand der Digitalisierung sowie zukünftige Entwicklungen in ausgewählten Bereichen des Einkaufs und des Supply Chain Managements.
Mangelnde Datentransparenz bremst Digitalisierung
Hinderungsgründe für die weitergehende Nutzung digitaler Lösungen im konventionellen E-Procurement-Bereich liegen nach wie vor primär in einer mangelnden internen Datentransparenz und -strukturierung. Danach folgen nahezu gleichauf innerbetriebliche Widerstände, fehlende Unterstützung seitens der Geschäftsführung, als ungenügend oder fehlend empfundene Standards, Kosten sowie unzureichende interne technische Voraussetzungen. Diese Faktoren werden von den Befragten teilweise noch intensiver als Hinderungsgründe empfunden als im Vorjahr.
Die Umfrage ergab auch, dass die Notwendigkeit des Einsatzes der E‐Tools von Klein- und Mittelunternehmen im Vergleich zu Konzernen fast durchweg geringer eingeschätzt wird – ein Trend, der seit Jahren zu beobachten ist. Es wurden aber auch signifikante Veränderungen deutlich. So schätzen im Gegensatz zum Vorjahr die Befragten aus Industrieunternehmen die jeweilige Relevanz des Einsatzes der E‐Tools über nahezu alle Kategorien hinweg höher ein als die Dienstleister.
Das Internet ist keine vorübergehende Zeiterscheinung
„Die diesjährigen Umfrage-Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Digitalisierung ganzer Wertschöpfungs- und Lieferketten den Unternehmen alles abfordert“, betont BME-Hauptgeschäftsführer Dr. Silvius Grobosch. Immer mehr Unternehmen würden die Notwendigkeit des Einsatzes elektronischer Lösungen in Einkauf, Logistik und Supply Chain Management erkennen. Allerdings müssten einige von ihnen noch stärker als bisher an der Beseitigung der Hinderungsgründe für deren Nutzung arbeiten.
Ronald Bogaschewsky, Professor für BWL und Industriebetriebslehre an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, appelliert insbesondere an die Verantwortlichen der Unternehmen, die komplette Automatisierung der operativen Beschaffungsprozesse endlich zur Chefsache zu erklären. „Einige Geschäftsführungen denken in Bezug auf den Einkauf und das Supply Chain Management wohl immer noch, das Internet sei nur eine vorübergehende Erscheinung“, fügt er hinzu.
Ähnlich wie im Vorjahr werde eine nahezu komplette Automatisierung des operativen Einkaufsprozesses bis vor dem Übergang zur Rechnungsprüfung und ‐buchung von über zwei Dritteln der Unternehmen in absehbarer Zeit erwartet und sei zum Teil schon vollzogen. Ähnliches gelte für die Integration der Buchungs‐, Rechnungsprüfungs‐ und Zahlungsprozesse mit dem Bestellprozess im Sinne eines unterbrechungsfreien P2P‐Prozesses sowie das Empfangen von Lieferantenrechnungen in elektronischer Form.
Nutzen von Big Data Analytics erkannt
Nach Einschätzung von Prof, Holger Müller, der BWL an der HTWK Leipzig lehrt, sei „dieses Handlungsfeld offenbar nicht nur als wichtig erkannt worden. Es ist vielmehr zu erwarten, dass die Mehrheit der befragten Unternehmen diese Prozesse zügig in integrierte Lösungen überführen wird, sofern dies nicht bereits erfolgt ist.“
Die aktuelle BME-Umfrage gibt auch Aufschluss, welche Zukunftstechnologien für Einkauf, Logistik und Supply Chain Management die größte Bedeutung haben. Danach liegt Big Data Analytics wie ein Jahr zuvor erneut auf Platz eins. Auf den Plätzen folgen „Intelligente Objekte zur Steuerung des Materialflusses“ und „Gemeinsame Datenräume entlang der Supply Chain“. Blockchains bilden das Schlusslicht. Insgesamt werden die „Zukunftstechnologien“ deutlich weniger positiv gesehen als im Vorjahr.
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