Automatisierung Automatisierung der besonderen Art

Von Jan Vollmuth

Sie schützt Hühner vor schlauen Füchsen, holt Spargel aus der Erde oder fliegt mit zum Mond: Automatisierung hat viele Facetten. Wir stellen einige außergewöhnliche vor.

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Mit einer adaptiven Maschine können Hersteller von Konsumgütern schnell und wirtschaftlich auf sich ändernde Anforderungen eingehen
Mit einer adaptiven Maschine können Hersteller von Konsumgütern schnell und wirtschaftlich auf sich ändernde Anforderungen eingehen
(Bild: B&R)

Die anpassbare Maschine meistert neue Herausforderungen

Kleinere Losgrößen, kürzere Lebenszyklen und der Online-Handel stellen die Hersteller von verpackten Konsumgütern vor zahlreiche neue Herausforderungen. „Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem herkömmliche Maschinen nicht mehr mit den Anforderungen der produzierenden Industrie und letztlich den Anforderungen der Konsumenten mithalten können“, sagt Wlady Martino, Branchenexperte für die Verpackungsindustrie bei B&R.

Verpackungsmaschinen sind in den vergangenen Jahren immer flexibler geworden, doch dies reicht für die neuen Anforderungen nicht mehr aus. Daher braucht es einen neuen Maschinentyp. Martino: „Wir nennen diesen neuen Typ die adaptive Maschine, weil sie sich einfach an das jeweils benötigte Produkt anpasst.“ Sie muss vier Kerneigenschaften aufweisen: Wirtschaftliche Produktion kleiner Losgrößen; Formatwechsel ohne Stillstandszeiten; die Fähigkeit, Produkte zu fertigen, die derzeit noch unbekannt sind; schnelle Marktverfügbarkeit für neue Produkte. Eine adaptive Maschine muss einen Formatwechsel auf Knopfdruck ermöglichen und im Idealfall unterschiedliche Produkte gleichzeitig fertigen können. Zur Umsetzung der adaptiven Maschine müssen bestehende und neue Technologien zu einer Gesamtlösung verschmelzen, im Wesentlichen Track-Systeme, Vision-Systeme, Roboter und Digitale Zwillinge.

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Herkömmliche Maschinen in der diskreten Fertigung arbeiten nahezu ausschließlich sequenziell. Martino ist überzeugt: „Auf dieser Basis lässt sich eine adaptive Maschine nicht umsetzen.“ Daher bilden intelligente Transportsysteme, sogenannte Track-Systeme wie Acopostrak von B&R, das Rückgrat des neuen Maschinentyps. Sie transportieren jedes Produkt individuell durch den Produktionsprozess. Zudem lässt sich der Produktfluss durch Weichen auf mehrere Bearbeitungsstationen aufteilen und wieder zusammenführen. „Mit intelligenten Track-Systemen ist es sogar möglich, Produkte zwischen zwei Shuttles einzuklemmen und so zu transportieren“, ergänzt Martino. Somit kann im Prinzip jedes Produkt individuelle Abmessungen und Formen aufweisen, ohne dass Umrüstungen notwendig sind.

Blue-Laser-Technologie löst einzigartige Messaufgaben

Profilsensoren mit Blue-Laser-Technologie prüfen unter anderem transparente Kleberaupen oder glühende Schweißnähte.
Profilsensoren mit Blue-Laser-Technologie prüfen unter anderem transparente Kleberaupen oder glühende Schweißnähte.
(Bild: Micro-Epsilon)

Kleberaupen zu prüfen stellt typische Laser-Triangulationssensoren mit rotem Laserlicht vor Herausforderungen. Mit ihrem Wellenlängenbereich von 670 nm sind diesen Sensoren bei (semi-)transparenten Messobjekten aus Kunststoff physikalische Grenzen gesetzt – wie eben bei Kleberaupen. Für Messaufgaben auf anspruchsvollen Oberflächen hat Micro-Epsilon die patentierte Blue-Laser-Technologie entwickelt. Sie wird eingesetzt, wenn optische Weg- und Abstandsmessungen auf glühende, organische oder (semi-)transparente Objekte erfolgen. Die Blue-Laser-Sensoren liefern hierfür äußerst stabile Signale und bieten eine herausragende Fokussierung.

Diese Sensoren messen mit einer Wellenlänge von 405 nm, wodurch das Laserlicht in die genannten Objekte nicht ein- oder hindurchdringt und somit einen scharfen Messfleck abbildet. Dadurch werden hochgenaue Ergebnisse erzielt. Besonders bei organischen Materialien wie Holz oder bei semitransparenten Objekten wie Kleberaupen oder Kunststoffprofilen ist dieser Effekt deutlich erkennbar.

Gib Füchsen keine Chance

Tagsüber offen, nachts fest verschlossen: Die automatisierte Hühnerklappe schützt Hühner vor dem Fuchs.
Tagsüber offen, nachts fest verschlossen: Die automatisierte Hühnerklappe schützt Hühner vor dem Fuchs.
(Bild: gemeinfrei / Pexels )

Zwei Studierende der Fachrichtung Elektro- und Informationstechnik an der Hochschule Hannover haben im Rahmen einer Projektarbeit einen sicheren Hühnerstall mit einer vollautomatisierten Hühnerklappe entwickelt. Die Anforderung an die Sicherheitslösung: Während sich die Hühner tagsüber frei zwischen Außengehege und Stallinnerem bewegen können, soll die Klappe nachts den Hühnerstall verriegeln, sobald sich alle Hühner im Stall befinden – und damit Füchse aussperren.

Für die Umsetzung griffen die Studenten auf zwei Reflex-Lichtschranken von Leuze zurück sowie RFID-Chips zur Identifizierung der Hühner. Zudem schrieben sie ein Steuerungsprogramm. Mit den Lichtschranken an der Hühnerklappe wird festgestellt, ob ein Huhn den Stall verlässt oder betritt. Der jeweilige Zustand „drinnen“ oder „draußen“ wird im RFID-Chip des betreffenden Huhns gespeichert. Damit sich die motorisierte Hühnerstallschranke abends schließt, prüft ein Lichtsensor vor dem Stall die Helligkeit. Kommuniziert er, dass es dunkel ist, prüft die Steuerung durch RFID-Abfrage, ob alle Hühner im Stall sind. Ist dies der Fall, gibt sie den Befehl zur Schließung der Klappe. Detektiert der äußere Lichtsensor am Morgen wieder Tageslicht, wird der Befehl zum Öffnen der Hühnerklappe gegeben.

Spargel vollautomatisch aus der Erde ziehen

Der Spargelernter von AvL Motion fährt mit bis zu 3,6 km/h über das Feld und zieht Spargelstangen selbstständig aus der Erde.
Der Spargelernter von AvL Motion fährt mit bis zu 3,6 km/h über das Feld und zieht Spargelstangen selbstständig aus der Erde.
(Bild: Turck)

Spargel wird auch als weißes Gold bezeichnet – derart begehrt ist das wohlschmeckende Gemüse. Im Frühjahr 2020 machte das Corona-Virus den Spargelbauern fast einen Strich durch die Rechnung: Nur mit besonderen Auflagen für die Erntehelfer durften die Stangen vom Feld geholt werden. Doch bereits in den vergangenen Jahren fiel es den Betrieben zunehmend schwerer, ausreichend Saisonarbeiter zu finden. Diese Situation nahm das niederländische Ingenieurbüro AvL Motion zum Anlass, den weltweit ersten vollautonomen, selektiv arbeitenden Ernteroboter für Spargel zu entwickeln.

Buchtipp

Die Sensortechnik ist eine Schlüsseltechnologie für das Messen, Steuern und Regeln von mechatronischen Systemen in der Automatisierung. Das Buch „Industriesensorik“ beschreibt anwendungsbezogene Fehleranalysen von Messsystemen, Sensoren und Sensorsystemen, jeweils ergänzt durch vollständig durchgerechnete Anwendungsbeispiele. Techniker und Ingenieure finden hierin Ideen und Lösungsansätze für ihre tägliche Arbeit.

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Für die richtige Auswahl einer marktfertigen Spargelstange war bislang noch immer das menschliche Auge nötig. Erntemaschinen konnten entweder nur gleichzeitig alle Sprossen auf derselben Höhe abschneiden oder waren schlichtweg zu langsam. Dem begegnet AvL Motion mit einem Roboter, der bei konstanter Fahrt mit bis zu 3,6 km/h selbstständig Spargelköpfe erkennt, die Stangen gekürzt aus der Erde zieht und sie über ein Förderband abtransportiert. Lediglich eine Arbeitskraft erfordere der Vorgang; diese müsse das Gemüse auf einer Ladefläche in Kisten sortieren, die Maschine am Ende einer Reihe per Fernsteuerung wenden und die Folienabdeckung in den Abwickler der Maschine einlegen.

Um einen solch komplexen Vorgang zu automatisieren, war vor allem passende Technik gefragt. Auf der Suche nach einem Ultraschallsensor zur Höhenregulierung stieß das Unternehmen auf den IO-Link-fähigen RU40U von Turck. Die darauf folgende Zusammenarbeit brachte weitere Sensortechnik ins Fahrzeug, darunter induktive Näherungsschalter im Kleinformat, präzise Drehgeber sowie Lasersensoren von Banner Engineering und robuste Linearwegsensoren. Zur Identifikation von Erntemodulen setzt AvL zudem auf den RFID-Schreib-Lese-Kopf TN-Q14, während das I/O-Modul TBEN-S2-4IOL IO-Link-Signale an die SPS überträgt.

Inzwischen hat das Ingenieurbüro die erste Erntemaschine an einen niederländischen Betrieb ausgeliefert. In Zukunft komme der Roboter, so Firmenchef Arno van Lankveld, womöglich komplett ohne Mitarbeiterkontrolle aus.

Sicher zum Mond und wieder zurück

Im Jahr 2023 soll das Raumfahrzeug Orion (Multi-Purpose Crew Vehicle) nach ausgiebigen Tests wieder Menschen zum Mond befördern. Im Bild eine Simulation des Raumfahrzeugs.
Im Jahr 2023 soll das Raumfahrzeug Orion (Multi-Purpose Crew Vehicle) nach ausgiebigen Tests wieder Menschen zum Mond befördern. Im Bild eine Simulation des Raumfahrzeugs.
(Bild: Kistler)

Fünfzig Jahre nach der Landung von Apollo 11 auf dem Mond schlägt die bemannte Raumfahrt mit dem Raumfahrzeug Orion ein neues Kapitel auf. Schon im Jahr 2023 soll Orion Menschen zum Mond befördern. Die Entwicklung wird von der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA mit Unterstützung der Europäischen Weltraumorganisation ESA vorangetrieben.

Die Europäer steuern das Service-Modul ESM bei, das direkt unter der Crew-Kapsel sitzen wird. In ihm befinden sich der Antrieb, aber auch die Energieerzeugung und -steuerung, die Klimaanlage sowie lebenswichtige Versorgungstechnik für Wasser, Sauerstoff und Stickstoff. Da hier Antrieb und lebenswichtige Technik räumlich eng beieinander liegen, sind intensive Tests unerlässlich.

Als Hauptantrieb kommt ein Space-Shuttle-Triebwerk zum Einsatz, kombiniert mit acht mittelgroßen Aerojet-Rocket- dyne-Triebwerken und 24 kleinen Triebwerken, die von Airbus entwickelt wurden. Für die Versuche verwendet Airbus ein Antriebsqualifikationsmodell, das mit nur zwölf statt 24 kleinen Triebwerken auskommt. Im Fall des Moduls ESM muss das Antriebssystem besonders gründlich getestet werden, da sich die überlebenswichtige Technik im ESM in unmittelbarer Nähe befindet. Das Testmodul ist nicht für Weltraumflüge vorgesehen, sondern soll in verschiedenen Umgebungen genauen Aufschluss über die Funktionalität der komplexen Technik liefern. Insbesondere die Druckstöße an den Treibstoffventilen stellen eine Gefahrenquelle dar und sind deshalb vorab genauestens zu untersuchen. Um das Ventilsystem exakt einstellen zu können, verwendet Airbus in seinen Versuchen piezoelektrische Drucksensoren von Kistler. Insgesamt sind 40 Sensoren im Antriebsqualifikationsmodell verbaut. Sie befinden sich innerhalb der Antriebstechnik vor und hinter den Ventilen, um die schnelle Veränderung des Drucks zu überwachen. Mit den Messungen validieren die Ingenieure ihre Berechnungen und stellen sicher, dass die Grenzwerte in keinem Fall überschritten werden. Bei Bedarf können sie Anpassungen vornehmen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf unserem Partnerportal konstruktionspraxis erschienen.

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