Arbeiten 4.0

Arbeit wird in der digitalen Welt neu definiert

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Die Ingenics-IAO-Studie liefert dazu einiges an Zahlen. So sind erhebliche Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsgestaltung und Qualifizierung zu erwarten. 51 Prozent der Unternehmen rechnen damit, dass Industrie 4.0 zur Reduzierung einfacher, manueller Tätigkeiten führt. 54 Prozent erwarten einen Anstieg des Anteils indirekter Mitarbeiter in planenden und steuernden Tätigkeiten. Unverzichtbar seien in diesem Kontext Bereitschaft zum lebenslangen Lernen (86 Prozent), Notwendigkeit eines stärkeren interdisziplinären Denkens und Handelns (77 Prozent) sowie höhere IT-Kompetenz (76 Prozent), besagt die Studie.

Smart Factory fordert Flexibilität

Auch ohne flexiblere Arbeitszeitmodelle wird es in der Smart Factory kaum gehen, ist Guido Zander, geschäftsführender Gesellschafter der Arbeitszeitberatung Dr. Scherf, Schütt und Zander GmbH, überzeugt. Vor allem die Schichtmodelle müssten flexibler gestaltet werden, um kurzfristig benötigte Mitarbeiter einsetzen zu können, weiß der Arbeitszeitberater. Starre 40-Stunden-Vorgaben hält er für überholt, schließlich werde die klassische Massenproduktion ab- und die Kleinstserienfertigung zunehmen.

Flexibleres Arbeiten ist aber nur ein Aspekt. Zugleich müssen sich, wie in der Ingenics-IAO-Studie angesprochen, die Qualifikationen der Beschäftigen mit den Anforderungen von Industrie 4.0 decken – ein Gesichtspunkt, der nach Auffassung von Prof. Dr. Peter Körner, HR-Spezialist beim Beratungshaus CSC, durch die einseitige Fokussierung auf die technische Seite von Industrie 4.0 in den Hintergrund gedrängt wurde.

Folgen für die Arbeitsorganisation werden massiv unterschätzt

„Die Folgen der Transformation für die Arbeitsorganisation werden in der Praxis jedoch noch massiv unterschätzt. Vom konkreten Anforderungsprofil für eine Fachkraft 4.0, über neue Arbeitsmodelle für Projektphasen bis zur stärkeren Einbindung der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse – klaffen offene Baustellen in deutschen Unternehmen.“ Weniger diplomatisch formuliert das Managementprofessor Wolfgang Kersten von der TU Hamburg-Harburg: „Wir diskutieren Industrie 4.0, haben Mitarbeiter 2.0 und Führungskräfte 1.0".

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Was die Industrie-4.0-Befähigung der „normalen“ Mitarbeiter für Industrie 4.0 betrifft, gibt sich Dr. Jörg Friedrich, beim VDMA für Bildungsfragen zuständig, eher gelassen (siehe unser Interview auf Seite 24). Zudem wird in den Unternehmen so einiges dafür getan, um diese Defizite abzubauen. Etwa beim Bosch-Konzern: Wie die Menschen in einer komplett vernetzten Fabrik der Zukunft arbeiten werden, wird im Allgäuer Bosch-Werk Blaichach schon erprobt. Die rund 3000 Mitarbeiter lernen in der Aus- oder Weiterbildung, wie sie von den neuen Technologien bei Fertigungsplanung oder in der Logistik unterstützt werden können.

„Industrie 4.0 ist mit vielen Neuerungen verbunden, die Mitarbeiter entlasten können“, erläutert Bosch-Manager Michael Zenker. „Per Mausklick hat ein Anlagenbediener etwa bei einer Störung sofort Zugriff auf vergleichbare Fälle, die von Kollegen dokumentiert wurden.“ Gleichzeitig wachse die Komplexität der Abläufe und der Technik. „Ein Wandel, den wir durch unser intensives und vielfältiges Qualifizierungsprogramm begleiten und so unsere Beschäftigten in die Lage versetzen, mit den neuen Entwicklungen Schritt zu halten.“

Bremsklotz Chef

Der Bremsklotz auf der Reise zu Industrie 4.0 sitzt eher im Chefbüro (Manager 1.0). Die derzeit real existierenden Führungskräfte haben, wie der vom Beratungsunternehmen Staufen AG erhobene „Deutsche Industrie 4.0 Index“ belegt, auf diesem Feld reichlich Nachholbedarf. „Eine neue Technologie allein kann nicht führen.

Auch Industrie 4.0 ist letztendlich ein Werkzeug, das erst durch kommunikationsstarke Führungskräfte seine volle Wirkungskraft entfaltet“, gibt Staufen-Vorstand Wilhelm Goschy zu verstehen. Umso wichtiger sei es, „dass die Führungskräfte aus ihren Komfortzonen herauskommen und vor Ort in der Werkshalle präsent sind. Das passiert bisher viel zu selten.“

Dieses Bild spiegelt sich auch im Staufen-Index wider. In 40 % der Unternehmen sind die Führungskräfte demnach bei der Kommunikation mit Kollegen oder Mitarbeitern noch nicht über die Aneignung von Grundkenntnissen hinausgekommen. Nur jeder vierte für den Index befragte Betrieb attestiert seinen Bereichs-, Abteilungs- und Teamleitern, auf diesem Feld schon den eigentlichen Ansprüchen an einen modernen Führungsstil zu genügen. „Der Schlüssel, um das volle Produktivitätspotenzial von Industrie 4.0 zu heben“ liegt für Groschy „aber wie bei allen Automatisierungswellen zuvor in einer Veränderung des Führungsverhaltens in Richtung eines offenen Dialogs am Ort der Wertschöpfung.“

Dieser Beitrag erschien ursprünglich bei unserer Schwesterpublikation MM Maschinenmarkt (verantwortlicher Redakteur: Jürgen Schreier).

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