Digitalisierung Alarm: Digitalisierungsgrad von Geschäftsprozessen im Mittelstand bedenklich
Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) kommen zu einem besorgniserregenden Ergebnis und bestätigen das Gefühl, dass in Deutschland in Sachen Digitaler Wandel noch Luft nach oben ist.
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In den nächsten 10 Jahren wird ein signifikanter Anteil der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Damit werden circa 6 Mio. Erwerbstätige der Bundesrepublik Deutschland in den Ruhestand wechseln und dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Dieser Verlust an Arbeitskräften wird mit qualifizierter Zuwanderung alleine aus vielschichtigen Gründen nicht kompensierbar sein. Einen großen Beitrag könnte aber die Ausweitung der Digitalisierung von Geschäftsprozessen leisten.
Vor diesem Hintergrund ist von der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) eine Online-Befragung bei 868 Unternehmen vornehmlich im Mittelstand erfolgt; 155 Teilnehmer haben sich beteiligt. Wir haben insgesamt 41 Prozesse aufgezeigt, für die Technologien und Lösungen bekannt und vorhanden sind. Im Kern haben wir abgefragt, in welchem Digitalisierungsgrad diese Geschäftsprozesse heute in den Unternehmen ablaufen. Dabei wurden die Stufen 1 (in keinem Maße), Stufe 2 (in geringem Maße), Stufe 3 (in erheblichem Maße) und Stufe 4 (weitestgehend durchgängig) als Antwortmöglichkeiten angeboten. Aus den Einstufungen konnten so Digitalisierungsgrade ermittelt werden (s. Abb. 1). Dies soll kurz am Beispiel Beschaffung erläutert werden. Zu Beschaffung wurden insgesamt 6 einzelne Prozesse abgefragt und die Stufen erfasst. Daraus wurde ein Mittelwert gebildet. Das Ergebnis zeigt, dass bei einem Mittelwert von 2,18 der Digitalisierungsgrad der Beschaffung zwar am weitesten fortgeschritten ist, aber doch nur bei „in geringem Maße“ liegt.
Weiter haben wir analysiert, ob sich dabei signifikante Unterschiede nach Branchen und nach der Größe der Firmen feststellen lassen.
Beschaffungsprozesse vorne
Zu den Geschäftsprozessen kann insgesamt angemerkt werden, dass noch erhebliche Ausbaupotentiale bestehen. So rangieren zwar die Geschäftsprozesse in der Beschaffung mit einem Digitalisierungsgrad von 2,18 vorne, aber im Detail sind noch deutliche Unterschiede auszumachen. Während die Ermittlung der Bedarfe schon weit digitalisiert ist, gilt das nicht für die Umsetzung in Bestellungen. Hier wird noch in hohem Maße durch den Mitarbeiter eingegriffen. Das gilt auch für das Einpflegen von eingehenden Lieferantenrechnungen. Aber auch ein Digitalisierungsgrad mit einem Wert von 2,18 (von max. 4,0) kann nicht als zufriedenstellend eingestuft werden.
Neben der Beschaffung weisen noch die Produktentwicklung und die Personalprozesse Werte oberhalb von 2,00 auf. Am unteren Ende der Digitalisierung rangieren die Prozesse der Ausgangslogistik und der Technik/des Facility Managements.
Bei den Personalprozessen gibt es erste Ansätze. Routineprozesse, wie die Stellung von Urlaubsanträgen, können schon in vielen Firmen digital erfolgen. Das Einpflegen von Personalstammdaten ist jedoch noch weitgehend Aufgabe von Sachbearbeitern in der Personalabteilung.
Im Prozessbereich des Facility Managements ist auffallend, dass bei 2/3 der Teilnehmer eine Anbindung der Maschinen/Anlagen als Voraussetzung für das Condition Monitoring bereits realisiert ist. Eine Nutzung von künstlicher Intelligenz findet kaum statt. Auch die Beanspruchung von Condition Monitoring als Leistung des Lieferanten steht erst in den Anfängen, ebenso die Nutzung von Pay-per-Use-Modellen.
In der Ein- und Ausgangslogistik ist die Identifikation von Teilen/Erzeugnissen mit Barcode-Scannern schon weit vorangeschritten, aber RFID-Systeme für mannlose Buchungsvorgänge stehen noch ganz am An-fang. Ebenso gilt das für die Produktion, wo noch großes Ausbaupotential für die Nutzung der Kommunikation von Bauteilen mit Maschinen vorhanden ist. Im Marketing und Vertrieb mussten wir feststellen, dass e-Commerce Möglichkeiten noch zu wenig erschlossen sind. Auch Produktkonfiguratoren stehen noch am Anfang.
Ausrüster für elektrische/elektronische Baugruppen führend, Maschinen- und Anlagenbau abgeschlagen
Betrachtet man den Fortschritt in der Digitalisierung nach Branchen, dann ist festzustellen, dass Ausrüster für elektrische/elektronische Baugruppen und Produkte mit einem Digitalisierungsgrad von knapp 2 ganz vorne liegen. 2 bedeutet aber nur, dass hier die Stufe 2 („in geringem Maße“) von 4 Stufen („weitest durchgängig“) erreicht wird. Abgeschlagen auf hinteren Rängen hingegen ist der Digitalisierungsgrad im Maschinen- und Anlagenbau mit einem Wert von nur 1,7. Im Detail liegt der Maschinenbau nur in den Geschäftsprozessen im Kundendienst vorne.
Digitalisierung bei größeren Unternehmen weiter
Nicht ganz unerwartet zeigte sich, dass der Digitalisierungsgrad bei größeren Unternehmen fortgeschrittener ist als bei kleineren Unternehmen. So liegt er bei Firmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern bei 2,31, bei Firmen mit weniger als 10 Mitarbeitern aber nur bei 1,44. Der Mittelwert liegt bei 1,82. Dennoch muss festgehalten werden, dass auch bei den größeren Firmen mit 2,31 der Digitalisierungsgrad noch viel zu gering ist.
Umsetzungsdefizit im Mittelstand
Insgesamt hat unsere Untersuchung hervorgebracht, dass insbesondere im Mittelstand eine erhebliche Diskrepanz zwischen bereits bekannten und verfügbaren Technologien zur Digitalisierung und der Anwendung in den Unternehmen besteht. Besonders vor dem Hintergrund des sich immer weiter verstärkenden Fachkräftemangels einerseits und den Möglichkeiten von Geschäftsmodellerweiterungen andererseits, kann der Stand der Digitalisierung nur als bedenklich eingestuft werden. Der deutsche Mittelstand hat offenbar ein Umsetzungsdefizit. Als wesentliche Hinderungsgründe für mehr Fortschritt bei der Digitalisierung wurden zu „hohe Kosten der Umsetzung“ und „fehlendes IT-Personal“ genannt.
Die vollständige Studie kann hier kostenfrei abgerufen werden.
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